Greenhound

Das Auto ist verkauft, und so stehe ich als ehemaliger, eingefleischter Kraftfahrer vor der Herausforderung, die paar weiteren Reisen im Jahr eben ohne Auto zurückzulegen. So geschehen am vergangenen, langen Wochenende, meiner erste Fahrt mit der deutschen Variante des Greyhounds, die hierzulande im schicken Grün daher kommt.

Ein zentraler Omnibusbahnhof ist von der Auto-Stadt Wuppertal nicht vorgesehen, da die Fernbusse eben privat sind. Diese halten darum schön am anderen Ende der Stadt, ohne Fahrgasthäuschen, ohne Toiletten, direkt an der B7. Das große Kind ist so nett, uns früh morgens dorthin zu fahren, mit seinem ersten eigenen Auto. Wir sind einiges zu früh, was meiner Paranoia geschuldet ist, einiges zu spät zu kommen und stehen darum erst einmal herum. Langsam kommen noch mehr Fahrgäste hinzu.

Das Gepäck. Gewohnt, stets den gefühlten halben Hausrat mitzuführen, darf ich mich in Minimalismus üben. Wobei immer noch ein gut gefüllter 60-Liter-Trolley nebst Rucksack am Ende übrig bleibt. Auf ein paar Sachen will ich einfach nicht verzichten. Auf meinen morgendlichen grünen Tee zum Beispiel. Den brauche ich in größeren Mengen zur Befeuerung meiner Seele und meiner Verdauung. Getränke fallen meiner Erfahrung nach bei den meisten Frühstück-Buffets für meine Verhältnisse eher sparsam aus, darum habe ich meine dem Handgepäck angepasste Teeküche auch nun dabei: Ein Baby-Wasserkocher 0.5 Liter, eine ebenso niedliche Isolierkanne von 0.35 Litern sowie einen Becher aus Auto-Zeiten.

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Der Bus kommt pünktlich und der Fahrer öffnet den Bauch des großen grünen Ding, der unser Zeug aufnehmen soll. Erste Erfahrung: Der Fahrer öffnet und schließt lediglich den Gepäckraum, jeder schiebt und drückt sein Zeug nach Belieben hinein. Verschlüsse sollten also gesichert werden.

Es sind mehrheitlich jüngere Menschen, aber nicht nur. Eine offensichtlich etwas unsichere Frau in unserem Alter wird liebevoll von ihrem Mann verabschiedet, es ist ebenso ihre erste Fahrt mit dem Fernbus, wie sich heraus stellt. Platz-Reservierungen gibt es nicht, wir setzen uns weiter hinten im Bus in die großzügig bemessenen Sitze. Gemach geht es los. der Fahrer ist ebenso sehr jung, aber ausgesprochen nett und hält erst einmal ein Rede. Nennt die Zwischenstopps, mahnt an, das Bordklo mangels Kanalisation nur im Notfall zu nutzen, verweist im übrigen auf Pinkel-Pausen, das Rauchverbot sowie auf einen Fahrerwechsel unterwegs, derweil der Bus bis Stockholm weiter fährt. Wir wollen nur bis Hamburg, was in gut fünf Stunden zu schaffen sein soll.

Auf der anderen Seite neben uns sitzen zwei junge Wuppertaler Grazien, beide gut im Futter, was nicht verwundert, da sie irgendwie ständig essen. Und reden. Eine hohe Kunst, an gewissen Möhren und anderen Sachen vorbei zu sprechen, ohne etwas wieder zu verlieren oder grob unverständlich zu werden.

Derweil kommt es zum ersten und nicht dem letzten Notfall, die Allein-Reisende nutzt die Bord-Toilette. Das verkneife ich mir, habe vorsorglich im Tal der Wupper noch den Bahnhofszaun gewässert, der grüne Tee möchte schließlich auch wieder hinaus.

Von irgendwo her zieht es, mir fröstelt und ich zerre meine Jacke aus dem Gepäcknetz, wickele mich ein Stück weit darin ein. Andere machen es sich gemütlich. Schuhe werden aus- , dicke Norweger-Socken angezogen. Schräg vor uns in der Bank sehe ich zwischen den Sitzen nur ein wirres Haarknäuel sowie Richtung Gang ein paar kräftige Frauenfüße in verschlissenen Ringelsocken. Offensichtlich ist ein Platz unbesetzt und es wird die Gunst der frühen Stunde für ein Schläfchen genutzt.

Das ändert sich in Bielefeld, der Bus ist hier randvoll. Aus der kalten Zugluft wird so ein lebenspendender Frischluft-Strom. Die stämmige junge Dame richtet sich offensichtlich hungrig auf und ich staune, was sie aus den Tiefen ihrer Tasche hervor holt. Ein riesiges Brot am Stück kommt zu Vorschein, wird Raum-füllend auf dem Sitzlehnen-Mini-Tischchen platziert und zu den Füßen passende Hände sägen mit einem Taschenmesser eine dicke Scheibe ab. Fingerdick wird die Scheibe mit einem undefinierbaren, Senf-farbenen Zeug aus einem Glas bestrichen und zur Krönung noch mit frisch geschnittenen Gurkenscheiben verziert. Mahlzeit. Selbst mag ich unterwegs nichts essen und nur wenig trinken.

Mich nerven ein paar Schuhe in der Nähe meines Sitzes und schaue kritisch in die Richtung der Trägerin. Sie fragt, ob das so ginge und ich nicke gnädig, unter der Auflage, sie möge sich nach Möglichkeit von meiner Jacke fernhalten. Später dann bei eine Pause stellt sich heraus, das dort hinten in der letzten Reihe die Fußablagen fehlen, entschuldigend wird auf Wasser in den Beinen verwiesen sowie auf die lange Fahrt bis Stockholm und ich bin meinerseits froh, nicht zu streng mit ihr gewesen zu sein.

Der Diesel ist gut gedämmt und brummt monoton leise. WLAN gibt es, aber ich bekomme warum auch immer die Installation nicht hin, was nicht weiter tragisch ist, derweil mir lesen beim fahren immer schon Kopfschmerzen machte. So schalte ich in geistigen Standby-Betrieb und lasse mich von den Fahrgeräuschen einlullen.

Die Fahrzeit. Gut beraten ist, wer sich einen satten Zeitpuffer am Zielort verschafft. Die angegebene Fahrzeit gleicht angesichts der ständigen Staus nur einer groben Empfehlung. Die Fahrer sind ihrerseits fit mit GPS und verlassen mehrfach rechtzeitig die Bahn, um den Stau durch die Dörfer zu umfahren, was Erinnerungen an meine Zeit der Mitfahrgelegenheit bei mir weckt. Mit einer guten Stunde Verspätung erreichen wir so den Hamburger ZOB, an dem wegen des langen Wochenendes ein unglaubliches Gedränge herrscht.

Fazit: Fernbus fahren ist in jedem Fall unterhaltsam und auch günstig, sofern man früh genug bucht. Und es dauert, Zeit mitbringen ist wichtig.

*

 

5 Gedanken zu „Greenhound

  1. Ananda

    hab ich mir doch gedacht, dass du mal wieder unterwegs warst 😉
    ich fahr ohne Wasserkocher auch nirgendwo hin – Thermoskanne nehm ich allerdings nicht mit – Thermos-Tasse reicht …
    mit dem Bus war ich schon öfters unterwegs – mit Fernbus allerdings vor gefühlt hundert Jahren – sonst mit so Reisebus-Gruppen – hat seine Vor- und Nachteile, aber falls du mal eine Pauschal-Bus-Reise machst hier ein heißer Tipp:
    Platz-Reservierung kostet in der Regel 5 € und lohnt sich auf jeden Fall, und zwar einen Platz vorne buchen, für den Fall, dass Kegel-Clubs oder ähnliches dabei sind – die sind nämlich nicht nur furchtbar laut, die machen auch schon morgens um 10 die ersten Flaschen auf – und die Unternehmen sortieren die in der Regel nach hinten 😉
    Letztlich bevorzuge ich Zug fahren – da allerdings nur 1. Klasse, was, je nachdem wann und wie man bucht, meist kaum teurer, manchmal sogar billiger ist, als 2. Klasse
    Minimalismus bin ich also gewohnt – man kommt in Übung, denn auch ich brauch so meine Sachen 😉

    Auf jeden Fall ist Bus oder Bahn ganz anderes reisen als mit dem Auto
    Ich sag ja immer – mit der Bahn fahren, eines der letzten Abenteuer unserer Zeit 😆
    Man erlebt aber eindeutig mehr als mit dem Auto!

    ich schätze, ein weiterer Bericht mit Fotos folgt ?

    Liebe Grüße <3
    – find ich ja toll, dass du dich auf deine alten Tage noch auf so was Neues einlässt 😆
    Aua Aua nich hauen 😆
    … Yoga-Decke z.B. 😉

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    1. Reiner

      Zurück sind wir dann mit der Bahn. Das war ebenso abenteuerlich in Sachen Gedrängel und Verspätung 🙂 Dennoch – wenn man erst einmal sitzt, ist es deutlich entspannter als im Auto. Beim rechtzeitigen buchen auch nicht wirklich teurer. Was mich mit Auto zunehmend genervt hat, sind die fehlenden innerstädtischen Parkplätze, gerade in den von uns öfter schon einmal besuchten Hamburg oder Berlin.

      Und nein – ein weiterer Bericht ist nicht unbedingt in Planung 🙂

      Obwohl …

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  2. Agnes

    Es war eine schöne Reisebeschreibung, Reiner, danke dafür.

    Ich persönlich finde es nur jammerschade, dass die Bahn – obgleich weit umweltschonender – oft viel teurer ist als die Fernbusse. Noch habe ich einer Busreise entgehen können.

    Als ich das letzte Mal mit dem Auto über die Autbahn Mitfahrerin sein durfte – vor etwa 1,5 Jahren -, war ich entsetzt, wie sich die Straßen seit meiner letzten Fahrt verändert haben. Fernbus hinter Fernbus, dazwischen Lastwagen in großer Anzahl, die wohl unsere Konsumgüter von Ort zu Ort chauffieren. Ich wäre sehr dafür, dass die Bahn finanziell künftig mehr gefördert wird, statt dass sie Rendite bringen muss, so dass künftig wieder mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wer weiß, ob je aber ein künftiger Umweltminister auf die LKW-Mautgebühren verzeichnen würde.
    Gebe zu, ich bin aus persönlichen Gründen politisch gerade nicht so aktiv und auch wenig informiert. Vielleicht wird sich das mit meinem Gesundheitszustand auch wieder ändern.

    Herzliche Grüße
    Auf viele weitere schöne Reiseerlebnisse – und die Berichte von Dir hier auf dieser Seite. Ich freue mich schon. Deine Texte sind immer schön zu lesen!

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  3. gerlintpetrazamonesh

    Tatsächlich sind meine Reisebuserlebnisse überschaubar und die letzten Bahnfahrten, nun ja, es erübrigt sich ja inzwischen, sich über das leidige Dauerthema auszulassen. Doch da die Ersteren gar nicht, die Zweite nur unwillig und teuer meine vierbeinige Dauerbegleitung mitnimmt werde ich logischerweise weiterhin überwiegend Automobil (dieses seltsam doppelt gemoppelte Wort…) bleiben. Eigentlichäö so gerne nicht. Eine zuverlässige Nah- und Fernverbindung wäre auch ganz nett. Aber woher nehmen im Lande der umklammerten Kassen! Für Landbewohner! – Und, wie gesagt, der Hund kommt mit.
    Demnächst muß ich mal wieder auf die Autobahn. Darauf, mein Wort, freue ich mich nicht. Gar nicht. Während ich über kurvige Landsträßchen gerne dem Lenkrad nicht zu viel Spiel lasse. und manchmal sogar die Motorradler (1. Einschränkung siehe oben, doch es gibt noch ein paar) beneide.

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