Findelkind

Gestern Abend, als ich das Haus verließ, da stand sie schon da. Klein und schon ziemlich lädiert in ihrem engen Verkaufskleid aus Plastik, das sie zwar handlich machte, ihr aber auch die Luft abschnürte. Irgend jemand hatte sie auf dem Strom-Verteilerkasten gleich neben dem Hauseingang abgestellt.

Spät am Abend kam ich heim und sie stand immer noch dort, wie bestellt und nicht abgeholt. Spätestens jetzt war mir klar, dass sich niemand wirklich für sie interessierte und ihr ein elendes Schicksal drohen würde, wenn ich mich nun nicht ihrer erbarmen würde. Also nahm ich sie mit nach oben in unsere Wohnung.

Bei der Liebsten renne ich mit meinem Straßenkind offene Türen ein. Geht überhaupt mal gar nicht, so ein armes Ding seinem Schicksal zu überlassen. Also wird die Kleine erst einmal von ihrem furchtbaren Plastik-Kleid befreit und gründlich gewässert. Anschließend werden einige wenige bereits hängende Köpfchen sauber abgeschnitten, um in einem kleinen Glas mit Wasser Erholung zu finden. Es findet sich bald eine bis dahin Sinn-freie, Pink-farbene Blechkanne, die nur auf einen neuen Gast gewartet hat.

Seitdem steht sie hier bei uns und es geht ihr schon sichtbar besser.

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*

Was mag sich wohl zugetragen haben, das sie sich so verloren am Straßenrand wiederfand? Die einfachste Erklärung hieße, sie ist irgendwem schlicht beim Auto-ausladen unbemerkt heruntergefallen und anschließend von irgendwem anders zumindest schon mal aus der Gosse gerettet worden. Möglicherweise war sie aber auch das unschuldige Opfer eines Beziehung-Dramas. Von einem gerade abgewiesenen, frustrierten Kerl mit harter Hand ihrem Schicksal überlassen worden. Oder sie traf womöglich nicht den Geschmack der Beschenkten, die ihrerseits zu herzloser Maßnahme griff.

Wie auch immer, jetzt geht es ihr gut und auch die immer schon leicht schwuchtelige Blechkanne freut sich über wiedergewonnene Ehre.

*

Nachtrag:
Heute, eine Woche,
viel Sonne und Wasser
sowie zahlreiche liebevolle Worte und Berührungen später:

Es geht mir prächtig 🙂

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*

22 Gedanken zu „Findelkind

  1. Ellen

    Ich habe Deinen Beitrag mit Spannung gelesen und fand die Auflösung wunderbar-:).
    Viel Erfolg bei der Pflege des Findlings, auch Blumen sind sensibel-:)…
    Liebe Grüße für einen Sonnentag-:) , auch an die Tigerin…
    Ellen

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  2. Ilanah

    Toll!!! Sie wird dir sicher danken mit einer herrlichen Blütenpracht.

    Toll finde ich auch, dass da jemand die Pflanze nicht einfach in die Tonne geworfen hat, sondern zum Mitnehmen hingestellt hat-

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  3. Doris Barbara

    😀
    Darf ich Dich fragen Reiner, ob Du es bewusst so eingestellt hast, dass ich mich immer wieder neu anmelden muss, um in Deinen Blog zu kommen bzw. dort kommentieren zu können?
    Ich kenne nämlich nur die übliche Version, dass im jeweiligen Blog die Option „Folgen“ aufscheint, und wenn ich diese anklicke, dann kann ich Dich im Reader lesen. Klicke ich dann im Reader auf „Abo verwalten“ kann ich für mich selbst den Auftrag geben, dass ich von diesem Blog auch noch eine Benachrichtigung über Email bekomme.
    Gute 24 Stunden lieber Reiner und ganz liebe Grüsse ins Tal der Wupper

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    1. Reiner

      Liebe Doris,

      Dem Wassertiger kann man nicht von wordpress.com aus direkt folgen, weil ich mich selbst hoste, das heißt, eine eigene, private Website betreibe. Die Software wiederum ist wordpress, gleichnamig zwar, hat aber mit der Bloggerplattform wordpress.com nichts zu tun. Der wupperpostille.wordpress.com kannst du ganz normal folgen, auch dort schreibe ich ja mit dir, mit euch. Das Email-Abo hier ersetzt quasi den Nachrichten-Reader bei wordpress.com

      Leider ist es aus Sicherheitsgründen notwendig, jeden Beitrag zu moderieren, also vor Freischaltung zu sichten. Bitte nehme das nicht persönlich, das lässt sich leider nicht für jeden Gast einzeln einstellen. Auf jeden Fall freue ich mich über deine Zuschriften hier !

      Auch Dir gute 24 Stunden & lieben Gruß!

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  4. Muschelfinderin

    Im ersten Moment dachte ich, da hätte ein Kind gesessen … so hattest du es wohl auch beabsichtigt.
    Hätte es einen Unterschied gemacht? Wahrscheinlich.
    Einen Menschen so einfach mit nach Hause zu nehmen, das ist nicht leicht.
    Schwups ist es vorbei mit der eigenen Intimität.
    Ich schleppte früher immer kranke Tiere mit an, und meine Mutter raufte sich die Haare.
    Die meisten konnten wir gesund pflegen.
    Und eine Pflanze ist ein auch ein feiner neuer Gast. Sie scheint sich bei euch wohl zu fühlen.

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    1. Reiner

      Absicht ? 😀 ?

      Um ein menschliches Findelkind würde ich mich auch bemühen, vielleicht auch erst einmal mit nach Hause nehmen, wer weiß. Hierzulande gibt es Institutionen und Gesetzte, die so etwas regeln. Was erste Hilfe nicht ausschließt.

      Unserem „Findelkind“ geht es gut, ja. Es scheint sich in der Nachbarschaft ihrer größeren Anverwandten wohl zu fühlen, bekommt einige Aufmerksamkeit und blüht gar lieblich 🙂

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