Die Zwei

Wer sehr früh am Morgen aufsteht, sieht manches, was andere nicht sehen können. So geht es mir auch, jeden Morgen, wenn ich gegen halb Fünf Uhr am Fenster sitze und die Routine-Arbeiten des neuen Tages mit einem Pott Tee unterbreche. Wenn ich die stille Straße sehe und Freundschaft mit dem jungen Tag suche.

Jeden Morgen bei jedem Wetter ziehen die beiden langsam den Berg hinauf. Zwei gebückte, schwarze Schatten, stets geht der Mann mit einem so genannten Hacken-Porsche an der Hand voran. Sie folgt ihm, in einem scheinbar genau festgelegtem Abstand. Ihr etwas schaukelnder Gang lässt auf ein Hüftleiden schließen, in einer Hand hat sie eine kleine Taschenlampe, sie sucht die Straßenränder nach verwertbaren ab, wie es scheint. An stets derselben Stelle ziehen die beiden durch die parkenden Autos auf die andere Straßenseite, er schließt die Haustüre auf und wartet kurz auf sie, um dann gemeinsam mit ihr im Haus schräg gegenüber zu verschwinden.

Der Rest ist Spekulation. Welche Route nehmen sie allmorgendlich, wie lange dauert wohl ihre Runde durch die Stadt, was für ein gelebtes Leben mit welchen Umständen treibt sie wohl des Nachts aus dem Haus. Und – war ihre Tour diese Nacht wohl erfolgreich, auf der Suche nach Leergut und verwertbarem Zeug an der Straße. Vielleicht waren sie auch containern, in den Hinterhöfen irgendwelcher Supermärkte?

Wie auch immer, für mich gehören die beiden zum festen Tagesablauf am frühen Morgen. Ich mag wie unsere Katzen Beständigkeit und Regelmäßigkeit sowie Menschen, auf die man sich verlassen kann, in ihrer Pünktlichkeit.

*

17 Gedanken zu „Die Zwei

  1. Brig

    Ob die Beiden wissen, dass sie zu deinem festen Tagesablauf gehören? Wohl kaum… so geht es uns allen. Oft wissen wir nicht, welche Rolle wir im Leben anderer spielen. Manchmal gar keine Unwichtige. Gefällt mir gut, deine frühmorgens Geschichte…..

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  2. Reiner

    Sicher haben sie keine Ahnung, dass sie zu meinem geregelten Tagesablauf gehören 🙂
    Und – ja, oft genug wissen wir es nicht, oder können es nur ahnen.

    Danke !

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    1. Aloisia Eibel

      Pünklichkeit, in diesem Zusammenhang klingt ein bisschen schräg auf mich.
      Die Geschichte ist wunderschön. Mir gefällt, wie Du achtsam und respektvoll verschiedene Schattierungen Deines Lebens beschreibst. Es ist als würdest Du sie vor uns ausbreiten, so wie ein Maler ein Bild malt.
      Einen lieben Gruß!

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  3. Katrin

    Schöne Geschichte. Mir ging durch den Kopf, ob die wohl auch einen Tee wollen in der früh? Und ob die vielleicht Zeitungen austragen? Manchmal begegnen einem Menschen, deren Geschichte zu wissen ganz schön wäre. Liebe grüße Katrin

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    1. Reiner

      Ja, wäre schon interessant – vielleicht kommt man,
      wie, wann, und warum auch immer, mal in Kontakt.
      Ich halte euch auf dem laufenden 🙂

      Lieben Gruß auch Dir!

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  4. aja

    Die Geschichte liest sich gut.
    Es ist schon verwunderlich, das die zwei sich einem genauen Zeitplan unterwerfen.

    Aber das tue ich ja auch in manchen Dingen, obwohl es nicht nötig ist *g*

    Liebe Grüße
    Barbara

    Im ajablog schreibe ich nun doch. Die Pause, die ich mir nehmen wollte, ist schon wieder vorbei. *g*
    Kein Wunder in unser schnelllebigen Zeit.
    Wenigstens ein Blog meinte meine „Kontrollinstanz“, brauchst du, sonst bekommst du Entzugserscheinungen. Grüße

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  5. Herta Beer

    Wunderschön beschrieben. Oft ist es vielleicht gar nicht mehr so interessant, wenn man weiß, was genau dahinter steckt, nur die Möglichkeit eventueller Lebenswege zu sehen, finde ich spannend. Oft denke ich, dass ich, wenn ich Menschen beobachte, genau zu wissen, wie sie sind. Und manchmal, manchmal übertrifft die Realität die Vorstellung um ein Vielfaches 🙂 Glg Herta

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    1. Reiner

      Wir legen uns oft genug aus der Distanz ein Bild zurecht, zusammengesetzt aus Fragmenten unserer speziellen Wahrnehmung. Sind die Umstände dann so, dass man sich näher kommt, sieht meist einiges anders aus, ja.

      Danke & lieben Gruß auch Dir!

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  6. Uschi

    Interessant deine Gedanken und die Kommentare dazu 😉

    Mir ging auch spontan durch den Kopf,
    ob sie Zeitungen austragen ?
    Die frühe Tageszeit würde es vermuten lassen.

    Aber sei’s drum, gewisse Regelmäßigkeiten sind mir auch sehr wichtig
    und ebenso, Pünktlichkeit !!!

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  7. Bisou

    Irgendwann wird einer alleine gehen oder beide fehlen…

    Und wenn morgen, ein unter die Tür geschobener Zettel ihnen einen schönen Tag wünschen würde?
    Sei auch du, wenn auch nur einmal Teil ihrer Tages – einfach so, als Dankeschön.

    Warum laufen hier jetzt Tränen…

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  8. gerlintpetrazamonesh

    Ich treffe zu solcher Stunde auch gelegentlich auf Taschenlampenträger. Meist aber ist es der Zeitungsbote, was auch bei den Beschriebenen mein erster Gedanke war. Die Zeit ist doch ungewöhnlich für die Sammler verwertbarer Überreste, wenn es deren Absicht ist, treibt sie die Scham? Oder haben sie festgestellt, dass die ruhige Stunde die bestgeeignete dafür ist? Wer weiß.

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