Die Kassiererin

Es ist ein Discounter, wie er in jeder größeren Innenstadt anzutreffen ist, der Markt hier in der Nähe. Sie heißen so wie ihre großen Brüder weiter draußen, sind aber nicht postmodern in steinernen Zelten mit riesigen Parkmöglichkeiten untergebracht, sondern meist zu ebener Erde in eine Häuserzeile gequetscht. Sie sind eng und viele gehen nicht gern dort hin, wegen dem Publikum, sagt man. Das allerdings relativiert sich, wenn man dann selbst dort hin geht, ist man doch dann selbst Teil des Publikums, wegen dem in den späten Abendstunden Wachleute im Eingangsbereich posieren. So ist es schon fast verwunderlich, dass diese Läden immer recht voll sind.

Im Kassenbereich ist heute am Nachmittag noch nicht allzu viel los, die Schlangen sind eher überschaubar. Besagtes Publikum ist bunt gemischt, Handwerker im Arbeitszeug, selbsterklärt jung gebliebene Damen, deren wahres Alter sich erst im Antlitz offenbart, Multikulti in allen Farben, Schüler, Hausfrauen. So stehe ich an und schaue, wer was kauft. Bei jedem gefühlt zweiten Kunden liegt Flaschbier mit auf dem Band, Feierabendzeit eben. Die harten Trinker kommen eher, wenn nicht so viel los ist. Eine Flasche Wodka oder Korn ziert dann das Band, dekoriert von einem Alibi-Salatkopf oder dergleichen.

Die Frauen an der Kasse hat der Job hart gemacht. Sie haben es nicht leicht, werden gut überwacht, müssen so ziemlich alles tun, was in so einem Laden getan werden muss und sollen nebenbei noch nett sein, zu Menschen, die ihrerseits oft weit davon entfernt sind. Vielen Gesichtern sieht man das nach Jahren auch an, den Stress und die Härte.

Sie zieht die Waren über das Band, hoch konzentriert. In einem Ohr steckt ein Headset, damit ist sie, denke ich, mit ihren Vorgesetzten im verborgenen verbunden. Sie kassiert, gibt Wechselgeld heraus, wartet geduldig, bis zwei oder drei Teile per Karte abgerechnet sind, checkt Pfandbons. Ich kann erst nur ihre Mundpartie sehen, welche noch nicht diese Härte zeigt. Dann ihr ganzes Gesicht, dunkel geränderte, müde Augen in einem Gesicht, vielleicht so Mitte Dreißig. Sie grüßt nur knapp, schaut kaum die Menschen an, arbeitet hoch konzentriert, nickt dem einen oder der anderen zum Abschied kurz zu. Hin und wieder blitzt ein kurzes, warmes Lächeln auf, wie Wetterleuchten in einer tiefen Nacht. Groß ist meine Freude, auch eine solches geschenkt zu bekommen, zusammen mit einem kurzen Blickkontakt.

Für mich sind solche Momente die kleinen Wunder im Alltag, durchbrechen sie doch die Tagesroutine wie kleine, wärmende Lichtstrahlen. Beim verlassen des Ladens nehme ich mir vor, mehr auf solche Augenblicke zu achten.  Sie schaffen Wärme, nicht nur gut in der kalten Jahreszeit.

*

9 Gedanken zu „Die Kassiererin

  1. maranaZ3

    Recht hast du, es ist schon bemerkenswert, wie einem ein wenig Freundlichkeit oder überhaupt nur gesehen zu werden das Herz aufgehen lässt, und mich wundert dann auch, allerdings sind wir eine Klein- bis Mittelstadt, wenn ich von einem jungen Menschen dann noch mit Namen gegrüßt werde, meistens beim Auf-Wiedersehen, obwohl ich jetzt schon seit über zehn Jahren aus dem Beruf raus bin.

    🙂

    Antworten
    1. Reiner

      Eigentlich ist es ganz einfach – aufhören, zu grübeln und mehr im hier und jetzt bleiben.
      Eigentlich …

      Fein, dass man dich noch kennt 🙂

      Antworten
  2. Bisou

    Ich habe ab dem 14. Lebensjahr gekellnert und arbeite auch heute noch mit Menschen, vielleicht liegt es daran, dass ich immer ein Lächeln und ein freundliches Wort zum Abschied in solchen Situationen habe. Ich weiß wie wertvoll es mir ist, wenn ein Gast mir seine Wertschätzung zeigt… da fällt mir ein… ich geh schreiben – Danke fürs inspirieren 🙂

    Antworten
  3. Regine

    Ja, lieber Reiner, das ist ein Text, der mir zu Herzen geht. Allerdings mit einer klitzekleinen Einschränkung: ich frage ich mich, was „selbsterklärt jung gebliebene Damen, deren wahres Alter sich erst im Antlitz offenbart“ bedeutet. Liebe Grüße! Regine

    Antworten
    1. Reiner

      Liebe Regine, mit „selbsterklärt jung gebliebene Damen“ meinte ich jene Spezies, die sich betont jugendlich kleidet, von der Figur her noch passabel erhalten ist und deren Gesicht einen gewissen Gegensatz zur sonstigen Erscheinung darstellt. Ist ein wenig schwierig zu beschreiben … gegen Modebewusstheit ist ja nichts zu sagen.

      Einen guten Morgen Dir !

      Antworten
  4. gerlintpetrazamonesh

    Ich muß sagen, ich habe in meinen Berufstagen oft genug das „das könnte ich nicht!“ gehört. Teilweise von Leuten, die… ach, lassen wir das. Aber ich meinerseits sage das über die (guten) Kellnerinnen im Restaurant oder eben über diese Kassiererinnen. Tatsächlich sind die meisten ganz selbstverständlich freundlich und zuvorkommend, trotz der merkbaren Gehetztheit und trotz der Tatsache, dass sie ihre Zahlenkolonnen und Kunden nicht durcheinander bringen sollten. Ich weiß, dass ich spätestens hier so meine Probleme hätte – welcher Tisch hatte noch mal was, wer will jetzt das Ding kaufen und wer retournieren und ja, da steht ja der ungeduldige Schweizer, der seine Steuer erstattet bekommen will! Nein, ich wäre nicht so souverän und, glaube ich, auch nicht durchweg freundlich.
    Und ja, es gibt auch die griesgrämigen in den Läden und Wirtschaften. Aber sie sind eine Minderheit.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Reiner Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert