Archiv der Kategorie: Spiritualität und Glauben

Pari

Gleichstand. Heute vor 22 Jahren trank ich zum letzten Mal Alkohol. Das entspricht annähernd der Zeitspanne, in der ich konsumiert habe, wenn ich den Beginn auf dem 16ten Lebensjahr lege, von einigen vorherigen einzelnen Gelagen mal abgesehen.

Wir unterscheiden bei den anonymen Alkoholikern zwischen Trinkpausen, Trockenheit und Nüchternheit. Trinkpause ist selbsterklärend, Trockenheit bezeichnet dauerhafte Abstinenz, Nüchternheit meint Trockenheit plus tiefgreifenden inneren Wandel, Friede mit der Vergangenheit, Vertrauen auf Gott, Skepsis dem eigenen Ego, den eigenen Emotionen gegenüber, beides Bereiche, die laut Pfarrer Kappes krank sein können und bei süchtigen Menschen auch sind – im Gegensatz zu unserer unsterblichen Seele, unser Selbst, wie Kappes sagt.

Wo stehe ich? Ich bin auf dem Weg, der zu werden, der ich Gottes Willen nach gedacht bin. Was den eigenen Willen nicht ausschließt, wer möchte schon „willenlos“ sein? Für mich ist es existenziell wichtig, Gottes Willen als den eben größeren anzusehen. Immer wieder um tägliche Führung bitten, mich führen zu lassen. Das gleicht einer abenteuerlichen Reise, mal Angst-besetzt, da wo das Vertrauen (noch) nicht reicht, mal zuversichtlich, meist aber als spannend empfunden. Langweilig wurde mir in den vergangenen 22 Jahren jedenfalls noch nie 😉 Wie wichtig Vertrauen ist, zeigen gerade diese Zeiten immer wieder neu. Richtung und Weg stimmen, wofür ich dankbar bin.

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Urvertrauen

Unten stehende Zeilen stellen im Kern einen meiner Beiträge in einer Heinz-Kappes-Whatsapp-Gruppe dar. Glaube und Vertrauen, für mich der Boden unter meinen Füßen, heute. Es ist immer noch nicht selbstverständlich für mich, abzugeben, als ein Mensch, der stets gern die Kontrolle gehabt hätte, zu haben glaubte. Ein Mensch, der mit solchen Plattitüden wie „Glauben tun wir in der Kirche“ aufwuchs, ein Mensch, für den Gott allenfalls eine Art strafende Instanz darstellte, der jedem das seine gibt, alttestamentarisch pur. Ein Mensch, der sich zum Ende seines Größenwahnes seinem Schöpfer angeboten hat, ihn abzuholen.

Es war noch nicht die Zeit dazu – Gott sei Dank.

Und das ist meine Lebensgeschichte, dass ich nicht wusste, wohin ich gehe, und dadurch am sichersten geführt war….Man weiß nicht, wohin man geht, wenn man gegangen wird in seinem Leben.

Heinz Kappes – „Von Liebe heimgesucht“ – Abschlussrede AA-Treffen in Basel am 09.05.1978)

Mein Name ist Reiner, ich bin Alkoholiker, heute trocken. Ich habe mir diese beiden Textpassagen aus der langen Rede von Heinz Kappes herausgesucht, weil sie mich besonders ansprechen: Der Umgang mit stetem Wandel, mit Unsicherheiten aller Art, wirtschaftlich und politisch auf gesellschaftlicher Ebene sowie Partnerschaften, Freundschaften, Beziehungen aller Art auf persönlicher Ebene betreffend.

Mein Leben war geprägt von persönlichen Krisen und Veränderungen. Zahlreiche partnerschaftliche Beziehungen, ständig wechselnde Bekanntschaften, deren Bindeglied die gemeinsame Gier auf Rausch war. Die totale, innere Leere in der Kapitulation vor meinem Unvermögen, mit Alkohol und Drogen umgehen zu können. Beziehungsdramen, nüchtern und trocken durchlebt und regelrecht zelebriert. Die zweite große Kapitulation war die vor meinem seelischen Zuschnitt, das andere Geschlecht betreffend, nach 9 trockenen Jahren durchlebt. Ich war mit meinem Willen, mit meinem Ego mehr als einmal komplett am Ende. Und immer, wenn ich überhaupt nicht mehr weiter wusste, konnte ich abgeben, an meine höhere Macht. Natürlich nicht frei und willig, sondern getrieben von Verzweiflung und Angst, die mein ständiger Begleiter war, solange ich denken kann. Mach du, ich weiß nicht mehr weiter, hieß es so oft.

Das kommt auch heute noch öfters vor, aber etwas hat sich geändert. Ich darf zeitig um Führung bitten, nicht erst im Zustand vollständiger Verzweiflung. Mein Ego, mein Verstand machen Pläne, entwerfen Strategien, haben aber nicht mehr das letzte Wort. Eingeprägt hat sich mir der Wunsch, das meine zu tun, soweit ich blicken kann, verbunden mit der Erkenntnis, dass das jeweilige Ergebnis nicht in meiner Macht liegt. IHM das Ergebnis zu überlassen und es annehmen zu können, gleich, wie es ausfällt. Manche nennen es Gottvertrauen, andere Intuition oder Urvertrauen, für mich ist es auch heute noch alles andere als selbstverständlich, abgeben zu dürfen, zu vertrauen, mich führen zu lassen. Es ist dies das größte Geschenk meiner Nüchternheit, mein Ego SEINEM Willen unterordnen zu können.

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Grundbedürfnisse & Mangel

Eigentlich – beschreibt, wie etwas sein sollte, aber nicht ist. Eigentlich ist es für die meisten Menschen selbstverständlich, auf sich zu achten, auf die psychische und physische Befindlichkeit. Für mich als suchtkranker Mensch ist es dies nicht. Wenn ich den Motor meiner Suchterkrankung beschreiben soll, fallen mir spontan zwei Begriffe ein: Flucht und Mangel. Flucht vor mir selbst, mich mir selbst nicht stellen wollen sowie Mangel an (Selbst-) Liebe, Eigenverantwortung, Fürsorge für mich selbst. Was keinen Widerspruch zu meinem maßlosen süchtigen Verhalten darstellt: Ein Fass ohne Boden wird niemals gefüllt.

Den inneren Mangel zu befrieden, meine Seele zu füllen mit Frieden, Vertrauen und Zuversicht, das ist ein Prozess, der lebenslang andauert. Heute glaube ich den Worten der AA-Freunde – die Dauer sei mindestens ebenso lang wie die aktive, süchtige Zeit. Sie wussten um elementare Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, gut in Erinnerung geblieben ist mir dieser Halbsatz:

Nicht hungrig, nicht durstig, nicht müde.

Äußerer Mangel – in meiner aktiven Zeit achtete ich in keiner Weise auf mich. Ich aß zu wenig und meist wenig Nahrhaftes, trank – schon klar, was, und schlief zu wenig und zu schlecht. Hygiene und äußeren Erscheinung waren oft dem entsprechend. Trocken und clean fing ich genau hier an, auf mich zu achten. Neben geistiger Nahrung, in meinem Fall alle verfügbare AA-Literatur, aber auch weit darüber hinaus, fing ich an, auf meine Grundbedürfnisse zu achten. Lernte kochen, lernte Neugier zu leben, lernte, wieder Struktur in meine Tage zu bekommen. Für mich zu sorgen eben, was soziale Kontakte mit einschließt. Einsamkeit (nicht allein-sein) ist auch ein Mangel, den ich, wenn ich wirklich möchte, relativ leicht beheben kann.

Warum bewegt mich all das, sollte doch schon längst selbstverständlich sein, meint der innere Kritiker. Ist es aber nicht immer. Mal fällt es mir einfach nicht auf, wie müde ich wirklich bin, mache einfach weiter und wundere mich dann über meine Gereiztheit und meine Aggressionen. Dann kann ich mich wunderbar empören, Anlässe gibt es in dieser Zeit mehr als reichlich. Oder ich werde schlicht krank am Körper, siehe neulich. Mangel hat viele Gesichter. Bei der fälligen Innenschau, der nach Möglichkeit täglichen Inventur sowie im Austausch mit anderen Betroffenen werde ich wieder an die kurzen, knappen vermeintlichen Binsenweisheiten erinnert, siehe oben.

Eigentlich ist es so einfach – eigentlich eben.

Bild von Markus Grolik aus dem Buch „Therapeutische Cartoons“ (Holzbaum Verlag): www.komischekuenste.com/shop/therapeutische-cartoons
(Werbung, unbezahlt)

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Dezember 2021

Ein riesiger Topf mit Hühnersuppe kocht langsam vor sich hin, auf dem Tisch liegt seit heute Mittag ein ordentlicher Stapel ungelesener Bücher. Kurzweil ist wichtig, wenn schon mit Aua zuhause. Nicht nur am Schirm, auch ganz klassisch auf Papier. Fehlt es an äußeren Ereignissen, so wie derzeit in meinem Leben, richtet sich der Blick nach innen. Die ewig langen Nächte tun ihr übriges, düster hier, ich zünde mal ne Kerze an.

Schon besser.

Ich kann nicht sagen, dass mir langweilig ist. Eher ist es so, dass ich auch solchen Zeiten etwas Gutes abgewinnen kann. Was mich bewegt, bewegt viele Menschen in meinem Alter. Das nahende Ende der Erwerbstätigkeit, die letzten Meter im Leben der Eltern. Partnerschaft, Familie, die letzten Reste alter Freundschaften. Schlechte Kunde tropft zäh wie Pech in einer fast schon kalkulierbaren Regelmäßigkeit in mein Leben. Es ist die Qualität der Zeit, meiner Zeit, meiner Gegenwart. Krankheit, Tod, und nicht immer sind es die (ganz) Alten, die es trifft. Nichts besonderes eigentlich, so geht es allen Menschen, früher oder später. Besonders für mich ist die teils brutale Klarheit, mit der ich all dies wahrnehme. Es gibt kein so vertrautes Ausweichen, keine Fluchtmöglichkeit.

Auch die mir so vertrauten Neigungen der allgemein aus dem Märchen bekannten Grinsekatze, deren Charakter auch ein Teil meines Wesens ist, helfen bei alledem nicht weiter. Das Ungefähre, Verschlüsselte, Wortverspielte, irrlichternd Beliebige in mir ist das der Grinsekatze vertraute Terrain. Das, was vor mir liegt, ist außerhalb dieses Revieres. Dort wird die Luft dünner und die Gesellschaft spärlich. Tiger-Revier passt besser, analog zu meinem Geburtsjahr. Zwei Katzen-Wesen, die erst einmal nicht viel miteinander zu tun haben, aber doch zusammengehören, für mich. Auf dass die Grinsekatze ein wenig verbindlicher wird und der Tiger das Leben ein wenig leichter nehmen kann. Beide sind, so Gott will, lernfähig, jeder aus seine/ihre Weise. Und mit den Jahren sogar gute Freunde geworden.

Gott ist besser als nichts, so schrieb mir eine Freundin gerade eben in einem Kommentar, nebenan, bei wordpress.com, der virtuellen Heimstatt der Grinsekatze. Stimmt, der ist immer da, selbst, wenn ich ihm den Rücken zudrehe. Und ein wenig grinsen muss ich auch, wenn mich Menschen daran erinnern, die sonst von weitem betrachtet eher als mögliche Agnostiker durchgehen würden.

Niemand ist eine Insel, auch, wenn es sich zeitweise so anfühlt.

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Gedanken zur Zeit

Wasser – für mich hauptsächlich Lebenselixier und ein Metapher-taugliches Element, bis dahin. Als Gefahr habe ich es in der Vergangenheit eher am Rande wahrgenommen, lebe ich doch auf einem Berg und hatte nicht viel mit den Schattenseiten vom Wasser zu tun, von diversen Kleinigkeiten wie ein vollgelaufener Keller und eine verstopfte Dachrinne mit entsprechenden Folgen in unserer Wohnung mal abgesehen. Das, was ich derzeit in den von Hochwasser betroffenen Gebieten sehe, macht mich fassungslos, wie so viele andere Menschen auch. Es wird sich etwas ändern müssen, nur nicht in dem Tempo, wie es die derzeitige allgemeine Betroffenheit am liebsten hätte, was ich nur zu gut mitfühlen kann, geht mir das Schicksal der Menschen in den vom Hochwasser verwüsteten Gebieten ebenso nahe.

Wer seinen Blick weiter schweifen lässt, weiß, dass tiefe Betroffenheit kein guter Ratgeber sein muss, oft genug eben nicht ist. Dogmatisch angetriebene Entscheidungen in Sachen Verkehrs- und Energiepolitik um den Preis von schweren, letztendlich staatsgefährdenden sozialen Verwerfungen dürfen nicht der Weg sein. Lohn und Brot, ein Auskommen für alle haben oberste Priorität, für mich, des inneren Friedens Willen. Die politische Kunst der nächsten Jahrzehnte wird sein, dieses Grundbedürfnis mit den Herausforderungen des auch von uns Menschen gemachten Klimawandels zusammen gehen zu lassen. Wege und Ansätze gibt es viele, ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht. Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet: Einfühlsamkeit angesichts zahlreicher Menschenopfer geht anders, nicht mit solchen Worten, auch wenn Sie im Kern nicht so falsch liegen. Ich habe ihren Auftritt in West3 dito gesehen…

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Genug der Politik. Der Wasser-Tiger, dieser Blog hier, namentlich inspiriert von meinem Geburtsjahr, 1962 – in letzter Zeit ist es still geworden, schreibe ich doch mehr oder weniger regelmäßig eher auf der Wupperpostille. Weiter machen? Manchmal denke ich, es reicht mit einem Blog, es braucht ihn nicht mehr, den Wassertiger. Mal sehen, für`s Erste lass ich es so weiter laufen, auch wenn sich zumeist nur Bots für die Ecke hier zu interessieren scheinen. Zumindest die arithmetische Erfüllung des chinesischen 60-Jahre-Zyklus im nächsten Jahr, dito einem Jahr des Wassertigers, soll er mit erleben.

Immerhin bietet diese Nische hier Gelegenheit, mal die Gedanken zu sammeln und passende Worte, idealerweise in ganzen Sätzen für die momentane Gefühlslage zu finden, etwas abseits der schreibenden Community. Stichworte gibt es reichlich. Familie, Gesellschaft & Politik, Idealismus, Pragmatismus, Polarisierung, Leben mit Widersprüchen, mit Zwiespalt. Gesellschaft und Politik hatte ich schon, siehe oben, das soll reichen, für heute.

Familie – mein Verhältnis zu dieser kleinsten Form von Gemeinschaft ist zwiegespalten, wie so vieles in meinem Leben, das von Polaritäten und Widersprüchen geprägt wurde und wird. Einerseits bin ich erschüttert, wenn ich am Beispiel meiner Eltern sehe, was alt werden, sehr alt werden bedeuten kann, nicht nur gesundheitlich, auch mit Blick auf den Umgang miteinander, mit Wesensveränderungen im Alter oder besser die teils heftigen Verstärkungen und Kristallisationen schon immer vorhandener Charaktereigenschaften und Neigungen. Ein Buchzitat dazu fand neulich den Weg zu mir, das ich sehr passend finde:

„Wenn wir ein gewisses Alter überschritten haben, werfen die Seele des Kindes, das wir gewesen, und die Seelen der Toten, aus denen wir hervorgegangen sind, mit vollen Händen ihre Schätze und ihren bösen Zauber auf uns und verlangen, dass sie zu ihrem Teil an den neuen Gefühlen mitwirken können, die wir empfinden und in denen wir sie, nachdem wir ihr altes Bild ausgelöscht haben, in einer neuen Schöpfung wieder zusammenschmelzen.“

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit/ Die Gefangene 
Danke für den Buchtipp, liebe G. 😉

Auf der anderen Seite sehe ich mit Freude, wie mein großes Kind seinen Weg geht, wie meine Anverwandtschaft dabei ist, mit vielen Kindern liebevoll eigene Ableger der großen Sippe zu bilden. Ich habe keine Angst mehr, meinen Vater all zu ähnlich zu werden, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht, damit habe ich bereits abgeschlossen, zum Leidwesen meiner ersten Frau. Auch in Sachen Vertrauen bin ich zu lange schon auf einem guten Weg, dass ich noch Angst haben müsste, ihm ähnlicher zu sein, als mir lieb ist. Auch kann ich die ebenso vorhandenen positiven Seiten meiner „familiären Sozialisierung“ heute durchaus erkennen und annehmen, für all das bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar.

Zwiespalt auch an anderen Stellen in meinem Leben: Idealismus vs. Pragmatismus, vs. realistischer Einschätzungen der Gegenwart, oder besser dem, was ich dafür halte. So halte ich mich einerseits für einem gefühlsbetonten, potentiell mitfühlenden Menschen, der allerdings ebenso mit ordentlichen Portionen Ego & Überlebenswillen ausgestattet worden ist, kombiniert mit einer manchmal selbst für mich schwer erträglichen inneren Kälte & Distanz mit Blick auf manche menschliche Interaktionen, auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dazu gehört die stete Gefahr des Abgleitens in Sarkasmus, was ich gelegentlich auch zulasse und kultiviere, wovor ich mich hüte, ist blanker, menschenverachtender Zynismus, zu dem ich ebenso fähig bin. Das Bindeglied zwischen all diesen Facetten ist mein Glaube, der mich nicht nur in die Lage versetzt, all diese inneren Widersprüche zu erkennen, anzunehmen und zu (er-)tragen, sondern der mich auch verweilen lässt, in der Gegenwart, wie immer sie auch gerade geartet ist. Flucht bedeutet für mich immer Morpheus`sche Traumwelten, die ich mir nicht mehr leisten will. Bis heute und nur für heute funktioniert das seit vielen Jahren recht gut, das wahrscheinlich größte Geschenk des Universums für mich.

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Die Blase

Folgende Zeilen geben, wie immer, meine ganz persönliche Haltung wieder. Sie wollen weder belehren noch haben sie einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, auch wenn es sich so lesen mag.

Was ist eigentlich eine Blase? Ein Hohlkörper, der im Allgemeinen gut dehnbar, reißfest sowie in der Lage ist, eine Menge mehr oder weniger Nützliches aufzunehmen. Es gibt aber auch das Synonym der Blase als etwas Buntschillerndes, Verlockendes, Fragiles, das nur wenig über den tatsächlichen Inhalt oder die meist nur kurze Lebensdauer des Gebildes aussagt und in der Regel mehr Schein als Sein darstellt.

Die erste große Blase der neueren Zeit platzte 1945, in Sachen Deutschland über alles, es folgte Ende der 60er Jahre die Zweite, als die so genannten 68er die Alt-Faschisten an den Schaltstellen der Macht satt hatten und dem allgemeinen Taschen-füllen als allein selig-machende Maxime nicht mehr folgen wollten, ebenso nicht mehr dem verhassten miefigen, moralinsauren Katholizismus, dem beinharten Bete-und -Arbeite der Evangelikalen folgen wollten. Es folgten weitere Blasen, erst der Glaube an eine Alleinstellung in dem Welthandel im Zuge der Globalisierung dessen, später die Blase des Glaubens an eine friedlichere Welt nach 1990, die so genannte Immobilien- oder auch IT-Blase, also das Platzen der völlig überhöhten Wertstellung eines Themenbereiches.

Und heute? An der Stelle stockt mein Gedankenfluss ein wenig, so komplex sind die Auswirkungen dieses winzigen Etwas, das unser bisheriges Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Mehr oder weniger. Wenn eine Blase geplatzt ist, dann ist es die Illusion, man könne sich es bequem machen, in einer spirituellen Kuschelecke, und den Rest der Welt schlicht ausblenden, wenn er denn schon nicht zu ändern sei. Eine Flucht vor dem Leben, wie es nun mal ist – mir als ein Mensch mit Suchterkrankung nur zu vertraut. So etwas hält nur solange, wie es hält – bis zur nächstbesten Nagelprobe, sei es eine private Krise oder eine gesellschaftliche, wie wir sie gerade Pandemie-bedingt erleben.

Mein persönliches Fazit: Meine Spiritualität, mein Glaube muss sich mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen, soll mir helfen, die Menschen zu verstehen, ohne an ihnen zu verzweifeln. Oder an mir selbst, außen wie innen. Was nicht das Potential hat, mich auch in rauer See zu begleiten, taugt nichts.

Im Außen kann ich mehrere Richtungen erkennen: Die einen werden zornig, stellen teilweise den Staat als Ganzes in Frage, ohne zu merken, wie sie von interessierten Kreisen politisch instrumentalisiert werden, indem sie Seite an Seite mit Vertretern eben dieser Kreise demonstrieren gehen. Die Mehrheit arrangiert sich mit den Einschränkungen, weil sie die Sinnhaftigkeit erkennen kann, allen politischen Irrlichtereien zum Trotz. Dazu zähle ich mittlerweile auch die Kontaktbeschränkungen via Rasenmäher, die sämtliche Wertschöpfungsketten zerschlagen. Wer seine Existenz gefährdet oder ruiniert sieht, kauft nichts mehr abseits des absolut Notwendigen. zahlt auch keine Steuern und Sozialabgaben mehr, von denen jeder Lehrer, jede medizinische Fachkraft, jeder Therapeut, jeder Beamte schlussendlich lebt. Von unseren Politikern erwarte ich mehr Differenzierung in Sachen Kontaktbeschränkung und vor allem, dass sie aufhören, dumm um etwas Rares, Kostbares, weil nur eingeschränkt Verfügbares mit den Pharmakonzernen feilschen zu wollen: Impfstoff – der einzige Weg heraus aus dieser Lage. Andere öffneten ihre Börsen und sind uns weit im Voraus, was die Impfquote angeht.

Alles in der Natur strebt nach Ausgleich der Kräfte, nach Gleichgewicht, selbst gewaltige Naturkatastrophen machen nichts anders. So in etwa wird es sich auch in der Gegenwart verhalten, glaube ich, der Ausgang ist derzeit ungewiss. Aber – was mir Hoffnung macht – , Viele Menschen, und sie werden nach meinem Empfinden stetig mehr, definieren sich als Menschen neu, abseits vom seelenlosen Konsum der Nachkriegszeit, abseits der besagten Kuschelecken, abseits von wie auch immer gearteter Religion, wobei diese im Kern eigentlich dabei nur unterstützen: Es wird bewusst, wie wenig Mensch eigentlich zu leben braucht, immer öfter wird gefragt, was wirklich zählt – mitten im realen Alltag wird einander öfter mal zugehört, praktische Hilfe geleistet, Spiritualität nicht zelebriert, sondern gelebt, meist unspektakulär und vergleichsweise leise, laut können die anderen zur Genüge. Wir sind allesamt enger miteinander verbunden, als es uns der Individualisierungstrend der letzten Jahrzehnte weismachen wollte – wirtschaftlich und vor allem menschlich.

Verbunden in unserer Verletzlichkeit.

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Brief an einen alten Freund

Wir hatten lange miteinander zu tun. Haben uns voreinander offenbart, uns gegenseitig in die Seele geschaut, wie Menschen das sonst im Alltag nur selten zulassen. Nicht nur das war es, was uns verband: Wir haben uns beide in den Dienst einer höheren Sache gestellt, ein gutes Stück losgelöst von unseren eigenen Lebensschwierigkeiten.

Dann kam Corona und die Gemeinschaft zerfiel, wie ein Spiegel, der in Tausend Stücke bricht, wenn er zu Boden fällt. Es gab Regeln und staatliche Vorgaben, wie mit der unsichtbaren Bedrohung umzugehen sei. Unterschiedliche Haltungen wurden offensichtlich, nicht nur bei uns beiden. Wir haben beide bei einer großen Social-Media-Plattform einen Account , ich bin allerdings nur selten dort präsent. Wenn ich alle paar Wochen mal herein schaue, klicke ich deinen Namen und schaue mir deine Postings an, in der Hoffnung auf eine Veränderung, die sich leider nicht erfüllt. Im Gegenteil, seit einiger Zeit teilst du Inhalte vom rechten Rand, deine Einträge sind voller Wut und Schmäh. Du hast Angst, beherrscht zu werden, nehme ich an. Weil ich dich ein wenig kennenlernen durfte, kann ich das verstehen, auch die Aggression, die sich damit aufbaut, mit der ich große Schwierigkeiten habe.

Auch ich habe meine Ängste. Das hängt mit meiner Geschichte zusammen, mit dem Riss, der durch die Sippe meiner Ahnen ging, das Leid, was sie sich gegenseitig zufügten. Das hängt mit der Zeit zusammen, die ein Vertreter deiner neuen Freunde als ein Vogelschiss in der Weltgeschichte bezeichnet hat. Aber das nur am Rande – im Grunde sind wir doch wieder gefordert, uns in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, nur ist es dieses Mal nicht eine kleine verschworene Gemeinschaft, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes. Dazu gehören nun mal auch Regeln, über die man diskutieren und streiten kann, ja. Unsere Politiker agieren leider viel zu oft aus Unsicherheit, Angst, Unwissen, Aktionismus und ja, leider sind auch einige wenige käuflich. Trotzdem kommen wir um Einschränkungen und Zumutungen nicht herum, wenn wir keine Verhältnisse wie in Amerika wollen, wo der Virus gemessen an der Einwohnerzahl fast doppelt so viele Menschopfer forderte, bis dahin. Allmählich scheint selbst dort ein Umdenken stattzufinden, Gott sei Dank.

Nichts wird wieder so wie zuvor, soviel ist klar. Das hat gesellschaftliche Gründe, aber in meinem Fall auch familiäre Gründe, die meine Zeit arg beschneiden. Was dich angeht – ich weiß, dass sich hinter all der Wut immer noch ein anderer Mensch verbirgt. Der Mensch, der mich in vergangenen Tagen an die Meditation herangeführt hat. Der Mensch, den ich für seine Verlässlichkeit und Verbindlichkeit hoch schätze. Der Mensch, dem ich für den Beistand, den er anderen Menschen am Ende ihres Weges leistete, großen Respekt zolle. Der Mensch, mit dem ich einen sehr schrägen Humor teilen konnte, dessen beim Lachen blitzende Augen ich noch gut in Erinnerung habe.

Wir sehen uns wieder, hoffe ich.

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Ein zerlegtes Gedicht

Das neue Jahr ist 10 Tage jung, Vorsätze hatte und habe ich keine. Was nicht daran hindert, so etwas wie eine Inventur zu machen. Macht man sonst bekanntlich eher am Jahresende, aber da war ich gerade zu sehr beschäftigt, um Worte dafür zu finden, wo ich gerade so stehe. Als Orientierung im Leben dienen mir immer noch und immer wieder die 10 Gebote obenan sowie die 12 Schritte der anonymen Alkoholiker – die unter anderen besagen, Inventur sei dann zu machen, wenn sie von Nöten ist, wenn es sein muss, auch täglich. Kann nebenbei bemerkt auch für Menschen ohne Suchterkrankung von Vorteil sein. Für eine Art geführte Innenschau gehen mir die Zeilen eines meiner Lieblings-Gedichte seit einiger Zeit durch den Kopf. Hat der selige Joseph vielleicht nicht so vorgesehen, aber gram wäre er mir sicher nicht, denke ich. Na dann.

Lass dich fallen.
In Gottes Hand gerne, im menschlichen Miteinander nur bei entsprechenden Vertrauensverhältnis, das eher selten ist, in meinem Leben.

Lerne Schnecken zu beobachten.
Mache ich gelegentlich, Schnecken sind faszinierende Tierchen. Klar werden die nicht von jedem gemocht, als Gärtner würde ich sie sicher anders sehen. Als gelegentlicher Beobachter dagegen staune ich, beim betrachten. Langsamkeit pur, aber ankommen tuen sie, wo auch immer. Diejenigen unter ihnen, welche ihr Heim mit sich umher tragen, sprechen zum einen die rein praktische Seite in mir an, als Kind eines ehemaligen, begeisterten Campers. Andererseits steht diese stets parate Heimstatt auch für Geborgenheit, allerorten.

Pflanze unmögliche Gärten.
Mangels grünem Daumen überlasse ich das gerne der Liebsten, die es Jahr für Jahr schafft, unsere graue, das Straße zugewandte Loggia mittels geschickt bepflanzter und positionierter Blumenpötte in einen heimeligen Ort zu verwandeln

Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
Das verstehe ich als Gleichnis, welches den Umgang mit Menschen in eher gehobenen Positionen betrifft, oder besser solchen Positionen, die gesellschaftlich als „gehoben“ angesehen werden. Menschen mit Macht und Einfluss also, keine potentiellen Betrüger oder Gewaltverbrecher. Wobei selbst solche Gott sei Dank selten im Leben aufmerksame Gegenwart erfordern können. Dem Kontakt mit erstgenannten dagegen weiche ich nicht aus, sofern der Umgang von gegenseitigen Respekt getragen ist. Da kann Mensch auch schon mal im übertragenen Sinne miteinander Tee trinken, was in der Praxis meist kurze Plauderei bedeuten kann. Achtsame Plauderei wohlgemerkt, getragen von Respekt und nicht von Opportunismus.

Mache kleine Zeichen, die “Ja” sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.
Die gibt es, in Form von Bildern, Figuren und Dingen, denen man ihre Bedeutung nicht auf Anhieb ansieht.

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Für mich ein eher ambivalentes Thema, widerspricht diese Freundschaft doch meinem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis. Andererseits ist das Leben eben genau so, dass so eine Freundschaft einen Sinn macht. Auch mit aller Umsicht kann Mensch sich schneller als geglaubt in privaten und/oder wirtschaftlichen Untiefen befinden. Da hat es mir stets gut getan, solche Turbulenzen auch als Reset zu betrachten, im Sinne von Freiheit, neu wählen zu dürfen.

Freue dich auf Träume.
Kommt sehr auf die Art der Träume an.

Weine bei Kinofilmen.
Oh ja, das kann ich, daheim beim streamen, aber auch im Kino, die hoffentlich überleben und irgendwann wieder öffnen werden.

Schaukel so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Unbeschwertheit: Lasse ich eher selten zu. Noch.

Pflege verschiedene Stimmungen.
Das gelingt mir gut. Würde ich sie nicht pflegen, hätte ich es nicht nur mit meinen verschiedenen Stimmungen zu tun, sondern auch noch mit meiner Abneigung dagegen. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass ich jeden Wolf in mir füttere.

Verweigere “verantwortlich” zu sein. Tu es aus Liebe.
Da möchte ich hin, dass ist eines meiner klar definierten Ziele für die Zeit nach meiner Berufstätigkeit, die natürlich auch mit einer Menge Verantwortung zu tun hat. Verantwortung aber auch für Menschen, die sich nicht (mehr) selbst helfen können. Liebe? Gibt es in diesem Zusammenhang, ist (für mich) aber keine Grundvoraussetzung für verantwortliches Handeln. Verantwortung beschreibt auch den Umgang mit den mir leihweise überlassenen Dingen. Ein weites Feld also, für mich.

Mach viele Nickerchen.
Sehr gerne!

Gib Geld weiter. Tu es jetzt. Das Geld wird folgen.
Der Umgang mit Materie: Bedingt Klugheit und Verantwortung. Wer nichts halten kann, findet sich schnell in bitterer Armut wieder. Wer alles halten will, hat gute Chancen, einen frühen Herztod zu erleiden, getrieben von Gier und Geiz. Es gibt sie durchaus, die gesunde Mitte, welche das eigene Wohl ebenso wie das der Nächsten im Visier hat.

Glaube an Zauberei.
Ja! Nicht im esoterischen Sinne, eher im Sinne von glücklichen, göttlichen Fügungen.

Lache viel.
Geht so. Wenn, dann auch gerne unanständig laut.

Bade im Mondlicht.
Bei jeder Gelegenheit, die allerdings selten sind.

Träume wilde, phantasievolle Träume.
Davon gibt es reichlich.

Zeichne auf die Wände.
Eher nicht. Noch nicht.

Lies jeden Tag.
Ja!

Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Das ist definitiv so 🙂

Kichere mit Kindern.
Sehr gerne, falls in meiner Nähe.

Höre alten Leuten zu.
Ebenfalls sehr gerne, sofern da mehr kommt als stetes kreisen um die eigenen Gebrechen.

Öffne dich, tauche ein, sei frei.
Kann ich, im Sinne von mitfühlen ohne mit zu leiden.

Segne dich selbst.
Als ich diese Aufforderung zum ersten Mal las, dachte ich, das ist doch anmaßend, darf ich das? Ich darf das, weiß ich heute. Mich selbst segnen hat nichts mit Anmaßung zu tun, sondern beschreibt einen liebevollen Umgang mit mir selbst.

Lass die Angst fallen.
Tägliche Übung.

Spiele mit allem.
Eher selten, aber ich arbeite daran. Katzen sind dabei ausgesprochen hilfreich.

Unterhalte das Kind in dir.
Wir haben Frieden miteinander. Meistens. Unterhaltung bekommt es auch, das Kind. Nicht zuletzt beim schreiben 🙂

Du bist unschuldig.
Worte, die ich kürzlich noch jemanden geschrieben habe. Schuld ist ein Konstrukt, welches Vorsatz voraussetzt, glaube ich. Jeder Mensch ist Teil von zahllosen Verwicklungen, und auch in meinem Leben gibt es Episoden, in denen mein Tun und Lassen weit reichende Folgen für andere hatte, aus Bedürftigkeit, aber auch aus Unreife. Bin ich schuldig? Es war nicht wieder besseren Wissens. Ich lerne, mir selbst zu vergeben, von außen gibt es keine Absolution.

Baue eine Burg aus Decken.
Vorzugsweise des Nachts. sollten sich hier mal Kinder finden, gerne auch am Tag. Obwohl die Katzen auch Deckenburgen lieben…

Werde nass.
Wenn es sein muss.

Umarme Bäume.
Selten, als Stadt-Mensch. Kommt aber vor.

Schreibe Liebesbriefe.
Nee … ich lebe sie, zeitweise.

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Nikolaustag 2020

Der Wassertiger führt in letzter Zeit ein Schatten-Dasein, wird also Zeit, ihn wieder mal zu füttern. Die Wupperpostille, nebenan bei WordPress.com, nimmt viel Zeit in Anspruch, was einerseits viel Freude macht, aber diese eher private Nische hier ein wenig zu kurz kommen lässt. Sei`s drum. Heute bin ich wieder mal hier.

Was bewegt mich? Klar, das, was die meisten so umtreibt, in diesen Tagen. Ein kleiner Virus, der sich im doppelten Wortsinne atemberaubend schnell unter uns Menschen verbreitet. Selbst in meinem beruflichen Umfeld ist er mittlerweile angekommen, was mich ausgesprochen vorsichtig macht, im Umgang mit meinen Eltern. Um mich sorge ich mich dabei weniger, zähle zwar altersmäßig auch schon zur so genannten Risikogruppe, aber ich vertraue auf mein Immunsystem und den Willen meines Schöpfers, in Verbindung mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen.

Ich las es in der letzten Zeit schon öfter – auch anderen scheint es ähnlich wie mir zu gehen. Das Virus und seine Eigenschaften ist eines, der Umgang von uns Menschen damit gleicht nicht nur für mich einer spannenden Studie. So eine erdumspannende Seuche bringt aus den Einen das Beste hervor, während sich bei den Anderen nur dürftig verdeckte Abgründe auftun. Die Phase der ersten Erschütterung habe ich mittlerweile hinter mir gelassen, es trennt sich nun eben die Spreu vom Weizen. Die Einen sammeln sich, um dieser Herausforderung gemeinsam Herr zu werden und die anderen scharen sich um ihresgleichen, um möglichst alles wie immer schon so weiterlaufen zu lassen – keine Theorie und Demagogie ist ihnen zu kraus, die dabei helfen könnte. Alles nichts Neues, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Und ich? Isolation ist für mich zunächst einmal nichts Neues. Als Kind war es freilich schlimm, eine ewige Außenseiter-Rolle zu haben. Später habe ich das zelebriert und gepflegt, mein vermeintliches anders-sein. Psycho nannten sie mich, mir war es recht. Hatte ich sie eben nicht alle, ab einem bestimmten Grad adelt selbst das, dachte ich. Das ging damals mit meiner Suchterkrankung einher, mit den dazu passenden Begleitumständen, Auftritten und „Nebenkosten“.

Lange her, das alles. Heute bin ich recht gerne allein, kann mich meistens selbst gut ausstehen. Seit einiger Zeit darf ich sogar allein arbeiten, nachdem mein berufliches Umfeld Anfang des Jahres arg reduziert wurde und ich das Glück hatte, bleiben zu dürfen. Jeder Tag ist heute gefüllt von Dankbarkeit, nunmehr befreit von Neid, Missgunst, Boshaftigkeit und Intrigen arbeiten zu dürfen. Keine Selbstverständlichkeit, wie sich gezeigt hat. Für mich wäre das so genannte Home-Office eine Auszeichnung, allein bin ich am kreativsten, muss ich dann doch auf keinerlei Befindlichkeiten meiner Mitmenschen Rücksicht nehmen. Das schließt Teamfähigkeit nicht aus, so nutze ich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle der neuen Zeit, um mit den anderen zusammenzuarbeiten. Leider ist das daheim-arbeiten in meinem Fall unrealistisch, da mein tägliches Werkzeug dank nicht unerheblicher Masse ein wenig immobil ist. Was den heute schon anachronistischen Luxus mit sich bringt, am Ende des Tages (hier mal ausnahmsweise nicht als Phrase gemeint) noch etwas in den Händen halten zu dürfen, was bis dahin nur als virtueller Datensatz sicht- und begreifbar war.

Geblieben ist weiter eine nur schwer zu beschreibende Sehnsucht nach Gemeinschaft, getragen von einem Gefühl der Zugehörigkeit. Im engeren Sinne bin ich reich beschenkt worden, was mein direktes familiäres Umfeld angeht. So bin ich heute tief dankbar für den Menschen an meiner Seite, mit dem ich meine tägliche Fristverlängerung teile, so gut ich kann. Dankbar auch für ein anderes Geschenk in Form meines großen Kindes, der seinen Weg als nunmehr junger Erwachsener recht zielstrebig geht. Dankbar auch für den mir möglichen Umgang mit meinen Eltern … alles keine Selbstverständlichkeiten, für mich.

Ziehe ich die Kreise weiter, sehe ich meine geistige Verwandtschaft. Menschen, die sich wie ich selbst auch als Erdenbürger, meinetwegen Kosmopoliten, begreifen. Menschen, deren Horizont über das Taschen-füllen um jeden Preis hinaus geht. Menschen, mit denen mich neben Humanität auch Glaube verbindet, dessen offizielle Titel mir übrigens sehr wurscht sind. Ich fühle mich mit jeden Menschen verbunden, der erkannt hat, dass es mehr gibt als sein eigenes Ego, in welcher Form auch immer. Solange es  dem gemeinsamen Auskommen und Wachstum dient. Was die Sehnsucht angeht, sie gehört offensichtlich zu mir. Und weil ich sie umarmen kann, hat sie ihren Schrecken verloren. Passend dazu habe ich das Liedchen weiter untern gefunden oder es mich, wie auch immer. Beschreibt es doch in seiner Übersetzung gut das alte „Fass ohne Boden“, das ich einst war, verbunden mit dem, was mich heute ausmacht. Viel Freude beim hören – und schön laut machen.

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Veränderung

Loslassen – klingt abgedroschen. Lerne loszulassen, klingt es allerorten, in Zeiten der Unverbindlichkeit. Zeiten der Umbrüche, des Wandels. Eigentlich habe ich mir in dieser Disziplin eine gewisse Routine erarbeitet, mit den Jahren. Angefangen mit dem klassischen Loslassen zeitweise lieb gewonnener Frauen, mal ging die Initiative dazu von mir aus, mal vom Gegenüber. Der damit verbundene Schmerz war derselbe, bis auf das letzte Mal und das war neu. Größer als der Schmerz, als das uralte Gefühl, allein gelassen zu werden, war ein bis dahin unbekannte, gewaltiges Gefühl der Befreiung von alten Mustern, von Kapitulation vor dem eigenen Beziehungsmuster – ein Gefühl von Freiheit.

Was zu mir gehört, findet mich und bleibt. Auch so eine Weisheit, die unzählige Male schon zu lesen war und ist, aber sie passt. Loslassen inbegriffen, nur verlagern sich jetzt die Themen. Fort von den Irrtümern und Verwirrungen, den alten Sehnsüchten und dem erlernten Schrott, der mir zwar lange eigen war, aber nie wirklich zu mir gehören sollte, hin zum letzten loslassen, der Kapitulation vor unserer Endlichkeit. In letzter Konsequenz hin zum sich-von-sich-selbst-verabschieden. Das schwingt derzeit immer mit, bei mir, aus gegebenen Anlass in der Familie. Andererseits spüre ich gerade, wie schwer mir das loslassen auf gesellschaftlicher Ebene fällt, fort von einer Gemeinschaft, die mich zwei Jahrzehnte getragen hat, die der ehemals anonymen Alkoholiker.  Gib`es weiter, sagten sie. Das werde ich nach Möglichkeit auch weiterhin tun, nur eben nicht in mehr oder weniger geschlossenen Zirkeln und schon gar nicht unter Preisgabe meiner vollständigen Daten bei jedem Treffen. Es findet sich …

Alles hat seine Zeit, persönliche wie auch gesellschaftliche Bindungen. Was davon bleibt, ist der spirituelle Boden, auf dem ich mich dank der vielen Jahre bewegen darf, sowie einige persönliche Kontakte, die die sich lösende Gruppenbindung zu überdauern scheinen. Der größte Gewinn aus dieser Zeit aber ist mein wiedergefundenes Vertrauen in meine höhere Macht, die über meinen letzten Atemzug hinaus bei mir sein wird. Sie lässt mich niemals los.

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