Berührung

Still haben wir uns St. Laurentius angeschaut, heute, am ersten November. Draußen scheint noch warm die Sonne und die Türen der Kirche stehen offen, bei der kleinen Runde heute mit unseren Gästen. Stadtbesichtigung light sozusagen, Schwebebahn, Ölberg, Luisenviertel, zu mehr reicht die Zeit nicht. Meine Lieben sind schon wieder an der Sonne und ich lasse im Eingangsbereich die schöne Kirche noch einmal auf mich wirken.

Sie steht etwas verloren neben mir an einem kleinen Tisch. Klein, schlank, blonde Strähnen quellen unter einer kurzen Stoffmütze hervor und umrahmen ein älteres, waches und freundliches Gesicht mit strahlend hellen Augen und einer frechen, kleinen Nase. „Kirchenaufsicht“, verrät mir ein kleines Schild an ihrer Jacke.

Gegenseitig wünschen wir uns einen schönen Tag und bei der Gelegenheit werde ich nach der Zeit gefragt. „Meine geht immer so nach, wissen Sie. Wegen der Ablösung gleich, sonst verpasse ich noch meinen Feierabend“ erklärt sie lächelnd. Man müsse doch etwas tun, bevor man geholt würde, sagt sie. Wir kommen in`s Gespräch, sind uns einig, das das wirklich eine sehr schöne Kirche ist, nach der langen Restaurierung in den letzten Jahren. Katholisch eben, das Auge und die Aufmerksamkeit  werden gefangen. Sie besucht aber auch evangelische Kirchen. „Die sind so ganz anders, man muss dort ständig so sehr über sich selbst nachdenken“ Das wäre hier nicht so, sagt sie und ich kann spüren, wie sie das meint.

Wir unterhalten uns über der Menschen Sucht nach Unterscheidung von einander und sind uns einig, das im Kern alle Religionen doch ähnlich sind. Mehr beiläufig erwähne ich meine späte Taufe vor acht Jahren. Sie strahlt regelrecht, freut sich aus ganzen Herzen für mich. Mittlerweile kommt die Liebste mal schauen, wo ich so bleibe und gesellt sich zu uns. Schnell spürt sie die sehr angenehme Atmosphäre und so plaudern wir eine kleine Weile zu dritt.

Beim Abschied umarmen wir uns alle drei, wir, die uns bis gerade eben noch gar nicht kannten. Ein sehr seltener und schöner Augenblick der Berührung ist das für mich, der ich sonst eher bestrebt bin, meine Mitmenschen auf Distanz zu halten.

2015-11-01 13.52.48

 

12 Gedanken zu „Berührung

  1. holdastern

    Die spirituelle Energie von Orten wie z.B. Kirchen (aber auch Kraftplätze, alte Bäume usw.) sind für den Menschen, der offen diesen besonderen Räumen begegnet, fast immer spürbar und überträgt sich gerne. Dabei kann das gemeinsame Schweigen genauso die Seele nähren wie ein gutes, ehrliches Gespräch. Gut, dass du dies erleben konntest und schön, dass du dieses Erlebnis mit uns geteilt hast. Es gibt unserer Welt Hoffnung, dass es immer wieder solche Begegnungen zwischen Menschen gibt! Liebe Grüße, Holda Stern

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  2. gerlintpetrazamonesh

    Kirchen sind Orte der Besinnung, der Stille. Im Idealfall. Der Bewunderung auch, und wenn es nur der Kunstfertigkeit früherer Jahrhunderte gilt. Aber hier gilt, dass es auch ein stilles, ein selbstverständlich besinnliches Gespräch geben kann, ohne den Zwang dazu, der die professionellen Besinnungs- und Einkehrspezialisten oft so bemüht und gezwungen erscheinen läßt, von denen man sich deshalb dann auch gern und rasch abwendet.

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