Angekommen?

Mir ging es öfter so, in der letzten Zeit, in den letzten Jahren. Da begegnen mir Menschen meiner Generation, also Kinder der frühen 60er des letzten Jahrhunderts. Man erkennt sich und beginnt zu plaudern. Smalltalk, immer schön an der Oberfläche bleiben. Bei manchen werde ich dieses Gefühl nicht los, welches ich nur schwer beschreiben kann. Es ist keine Ablehnung oder gar Neid, nein. Eher so eine für mich gesunde Distanz, die ich da spüre. Eine innere Gewissheit, das eine lange zurück liegende, gemeinsame Zeit so war, wie sie war und nicht wiederkommt. Wertfrei.

Meist handelt es sich bei diesen ehemaligen Weggefährten um Menschen, die man gemeinhin als „etabliert“ bezeichnet. Im Leben „angekommen“. Sichtbare Zeichen sind die typischen Merkmale einer so genannten bürgerlichen Existenz wie z.B. Wohneigentum, größere Fahrzeuge, mehr oder weniger erwachsene Kinder, beruflicher Erfolg, Vereine, Nachbarschaftspflege. Sichtbar ist bei diesen Menschen oft auch Übergewicht, so eine Art Schutzpanzer um das Innerste herum. Das allein ist es aber nicht, was dieses diffuse Gefühl des Abstands bei mir auslöst, nein. Es ist diese Art von Sattheit, von bräsigen sich-breitmachen, dem vermitteln von angekommen-sein, was mich erst einmal auf Distanz gehen lässt, wohl wissend, das Menschen manchmal sehr gute Verpackungskünstler sind, was ihre Ansichten und Gefühle angeht.

Für mich kann ich sagen, das ich auf diese Art nicht „ankommen“ möchte. Überhaupt heißt „ankommen“ für mich mehr so „hier bin ich jetzt und brauche mich nicht mehr zu bewegen“. In diesem Sinne werde ich niemals ankommen. Möchte unruhig und wach bleiben, teilhaben dürfen an dem Geschehen um mich herum. Neugierig möchte ich bleiben. Mich weiterhin berühren lassen möchte ich mich, auch, wenn das nicht immer angenehm ist, so doch zumindest lehrreich.

Unterwegs bleiben eben. Ankommen werde ich einst, wenn ich wieder zurückkehre, dorthin, wo ich hergekommen bin. Bis dahin bleibe ich lieber meine eigene Randgruppe, im Sinne von dem Liedchen weiter unten 😉

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14 Gedanken zu „Angekommen?

  1. Doris

    Lieber Reiner

    Ich weiss ganz genau, welche Art eines menschlichen Verhaltens Du meinst, weil ich immer auf der Suche nach diesen „Typen“ bin. Für mich verkörpern sie Ruhe und Gelassenheit.
    Und ich muss ehrlich zugeben, dass ich diese Menschen beneide.
    Sie scheinen das gefunden zu haben, was ich nie fand …. Zufriedenheit.
    Sie hatten sich Ziele gesetzt, und diese erreicht. Und fanden dann noch die Kraft zu sagen „und jetzt ist Schluss“
    Jetzt kann ich nur hoffen, lieber Reiner, dass für Dich auch Antworten mit anderen Meinungen okay sind, und wünsche Dir ein schönes Wochenende und ganz liebe Grüsse aus Wien

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    1. Reiner

      Liebe Doris,

      auch ich habe in meinem Freundeskreis Menschen, die von den äußeren Lebensumständen her in dieses Bild passen. Menschen, die ich wegen ihrer Offenheit und Toleranz über viele Jahre achte und schätze. Vielleicht ist es der kleine, aber entscheidende Unterschied zwischen Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit. Was ich meine, ist ein Form von Sattheit, die den Horizont schrumpfen lässt.

      Deine Meinung ist mir stets willkommen! Auch weiß ich um die Anziehungskraft so genannter bodenständiger Männer. Sicherheit ist ja ein Grundbedürfnis aller Menschen. Darüber hinaus glaube ich, das Zufriedenheit ein hohes Gut ist, welches nicht an irgendwelchen Statussymbolen hängt. Das wirklich jeder Mensch Zufriedenheit leben kann, unabhängig von seinen Lebensumständen, vorausgesetzt, die elementaren Grundbedürfnisse sind erfüllt.

      Du findest deine Zufriedenheit nicht im außen, liebe Doris. Sie ist bereits in Dir und wartet nur darauf geweckt zu werden. Danke für deine Offenheit hier und lieben Gruß 🙂

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  2. Nadine

    Ich glaube, ich verstehe, was Du meinst.

    Statusabfrage. Pflichtenheftvergleich. Konformitätsnachweis. Erfolgsbewertung.

    Wie glatt ist die Oberfläche, wie strahlend die Politur. Welche Kästchen sind noch nicht abgehakt.
    Wie gut konnte man/frau seine Bedürfnisse und Wünsche der Norm und den Erwartungen der Gesellschaft anpassen und unterordnen ?

    Man hat sich etabliert–vollständig angepasst. Und aufgelöst.

    Wie weit noch ? Wie lange noch ? Bis zum Ziel. Und dann… endlich… Ja, dann merken sie, dass ihr Denken einen fundamentalen Systemfehler hat. Aber dann ist es meistens auch schon zu spät.

    ‚Was der Mensch auf dem Sterbebett am meisten bereut‘
    Die Tatsache, dass sich diese Frage nach wie vor, vielleicht mehr denn je, grosser Beliebtheit erfreut, ist eigentlich schändlich. Würde man doch meinen, Fragen sind dazu da, den Menschen weiter zu bringen. Aber wir haben offensichtlich nichts aus ihr (und vielen weiteren) gelernt.

    Wir–ich meine, manche von uns, andere… 😉

    Hamsterrad. Zwangsverhalten. Herdenmentalität. Confirmation Bias. Tribalismus.
    Irgendwie macht all dies meine zuvor gemachte Denkerei müssig.
    Ich schwanke stets zwischen ‚wäre/würde/hätte der Mensch‘ und ‚wir sind doch alle nur Opfer eines unendlich komplexen, determinierten Systems namens Leben‘.

    Der einzige Punkt, an welchem ich doch gerne mal ankommen würde, wäre der des Ankommens im Leben, überhaupt. Sich nicht nur als Übel, sondern auch als willkommener Teil dieses Lebens zu fühlen. Momente zu erleben, die mir ein gutes Gefühl geben, in denen ich mich kurz fallen lassen kann, sein kann, mich geborgen fühlen kann.

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    1. Reiner

      Liebe Nadine,

      Das von Dir beschriebene Verhalten in Bezug auf Konformität, Erreichtes, dem schönen, äußeren Schein und dergleichen ist, so glaube ich, einerseits charakteristisch für Menschen, die ursprünglich aus einfachen Verhältnissen stammen und sich nach eigenem Selbstverständnis „hochgearbeitet“ haben. Andererseits gibt es solche, die in dieses Denken hineingeboren werden und es schlicht unhinterfragt übernehmen, als ihre Form von Selbstverständnis oder aus einem pseudo-elitären Gehabe heraus.

      Was viele von ihnen nicht sehen, ist, das Materie und geistige, innere Freiheit, kombiniert mit Menschlichkeit, sich nicht gegenseitig ausschließen. Sie sind schlicht nicht bereit, zu teilen, von ihren engsten Kreis mal abgesehen, und selbst dort wird das erworbene oft nur unter gewissen Bedingungen weiter gegeben, als Mittel der Macht, sozusagen.

      Es ist eine Sache, für sich und seine Lieben zu sorgen, einem Gewerbe nachzugehen, seine Rechnungen zu bezahlen. Eine andere ist es, sich darauf eine Menge einzubilden und den „Rest“ der Welt für seine Andersartigkeit abzulehnen und zumindest mit tiefem Misstrauen zu begegnen. Für mich habe ich gelernt, das Materie sich bewegen, also weitergegeben werden will, wenn sie mir nicht entrissen werden soll. Das jeder Erfolg ein Grund für Dankbarkeit zu meiner höheren Macht ist und jeder scheinbarer Misserfolg als eine Lernaufgabe angesehen werden möchte.

      In diesem Leben „anzukommen“, ist nach meinem Selbstverständnis nicht möglich. Zu vielfältig sind die Lernaufgaben, das geht bis zu meiner letzten Stunde, denke ich. Was nicht ausschließt, Frieden zu finden mit mir, so, wie ich nun einmal bin. Das Potential dazu trägt jeder Mensch in sich, davon bin ich fest überzeugt. Unsere höhere Macht liebt uns so, wie wir sind, davon bin ich überzeugt, Dich, mich, jeden Menschen. Geborgenheit ist in uns, auch in Dir, liebe Nadine. Es kann von außen keiner etwas geben, was wir nur in uns selbst finden können.

      Danke für deine Offenheit hier, ich freue mich sehr darüber.
      Lieben Gruß aus dem Tal der Wupper!

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  3. FrauFlux

    Dank deines Textes, weiß ich jetzt, warum ich so verächtlich schrieb.
    Es ist auch meine Generation, das stört mich wohl besonders!
    Sie hören vorzugsweise alte Musik. Musik aus Zeiten in denen sie glücklich waren, als Erinnerungsbonbons.
    Stöhnen unter der Verantwortung, den erreichten Lebensstandard halten zu können und finden sich dann, wenn nichts mehr geht, als Burnout-Patient in einer Klinik wieder.
    Und du und ich? Wir sind die Aufrechten? Sind die, die mutig immer wieder neu aufbrechen?
    Das wohl auch nicht. Wenn wir wirklich so dächten, hätten wir uns auch ein bequemes Weltbild zurechtgelegt und es uns darin gemütlich gemacht, es also selbst widerlegt.
    Was mich einfach ziemlich nervt, ist das Gejammer!
    Wenn Eigenheim, Auto, Reisen und Abitur der Kinder euer Glück bedeutet, dann hört bitte auf, mir die Ohren voll zu jammern! 🙂

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    1. Reiner

      Genau so. Es gibt für mich keinen Grund, zu jammern. Oder verzweifelt an irgendeinem Status Quo festzuhalten. Damit gehen meine Lieben Gott sei Dank auch konform. Was ist, das ist und es gibt Grund genug für Dankbarkeit. Flüchtig, wie es ist.

      Erinnerungen? Ok. Sie haben in erster Linie die Aufgabe, mich vor vergangenen Dummheiten zu schützen 😉 Alte Lieder haben Unterhaltungswert und machen sich ganz gut hier und da zur Verstärkung von etwas geschriebenem oder der Zerstreuung wegen. Für mich habe ich Gott sei Dank nicht die Geschichte, wehmütig auf eine glückliche Vergangenheit rückblicken zu müssen, mangels trüber Gegenwart.

      Ansonsten wird der Alltag nicht die Spur anders, bloß weil ich mich entschieden habe, aufrecht und wahrhaftig zu leben. Was eh`nur eine Orientierung ohne jeden Anspruch aus Perfektion darstellt. Mir ist heute mein Urvertrauen in dem großen Plan für mich wichtiger denn je, je unruhiger die Zeiten werden. Das hilft mir, bei allem täglichen Trubel gesund zu bleiben, an Körper, Geist und Seele. Hilft mir, das Abends noch etwas von mir als Mensch übrig ist, nach einem langen Tag.

      Lieben Gruß & schön, das Du hereingeschaut hast, Frau Flux !

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  4. Teggy

    …ich kann das gut nachfühlen…und ich möchte auch lieber meine Außenseiterrolle behalten, auch wenn ich manchmal den Abstand bedauere, also ich bedauere das Nichtdazugehörenkönnen…das geht ja einher mit dem Anderssein, dann spüre ich mitunter, dass ich ziemlich viel anders bin…ich kann mich zwar in ihre Welt hineinversetzen, weil ich auch einmal so gelebt habe, aber sie wollen gar nichts von meiner Welt wissen und dies beendet die Kommunikation recht schnell…

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    1. Reiner

      Das kann ich gut nachvollziehen, weil es mir ähnlich geht. Zwar bin ich nach außen hin Teil dieser Gesellschaft, spüre aber schnell die Grenzen des Verständnisses, was meine Geschichte angeht. Was heute in Ordnung ist, da nicht wirklich jeder nachvollziehen kann, der nicht betroffen ist oder war.

      Manchmal schade, aber es ist, wie es ist.

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  5. Caroline Caspar

    Auch wenn ich an dieser Stelle fast um ein Jahr zu spät komme, möchte ich in deiner Randgruppe beitreten. Was mich neben den Statusmitteilungen mittlerweile extrem an Gleichaltrigen nervt, sind Aussagen wie: „Ich bin jetzt alt, ich muss – dies und jenes – nicht mehr machen.“ Dies bekräftigt meine frühe Vermutung, dass viele schon in jungen Jahren nicht aus Überzeugung protestiert, sich kritisch geäußert haben, sondern zum Zwecke der Selbstdarstellung und Außenwirkung. Haben diese aus gleichen Gründen alles Mögliche konsumiert und angesammelt, verwundert es auch kaum, dass entgegen der Beteuerung von Zufriedenheit meist die Mundwinkel weit nach unten zeigen.
    Schon früh haben mich diese unkritischen, selbstgerechten Typen maßlos gelangweilt. Ich erinnere mich an Partys, wo gegen Mitternacht vor allem die Männer (hier haben die Frauen auch aufgeholt) nur noch sich permanent wiederholend um sich selber kreisten. Dann habe ich den Kopf zurück gelegt und geschlafen, bis meine Begleitung es angemessen fand, zu gehen.
    Solange mein Geist funktioniert, werde ich Neues lernen, hinterfragen – vor allem mich selbst – und gespannt auf neue Eindrücke sein. Ich werde versuchen zu verändern und überzeugen, wenn mir etwas wichtig ist – auch in meinem Beruf als Lehrerin, meine eigenen Entscheidungen treffen und natürlich auch die Konsequenzen meines Handelns tragen – ohne zu jammern. In diesem Sinne habe ich auch meine fünf Kinder in ihr Leben begleitet, wobei ich mich mehr als einmal heftig gegen den Wind stemmen musste. Hat aber meistens Spaß gemacht – zumindest rückblickend.

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    1. Reiner

      Ja fein – willkommen dann in der Runde 😀

      Selbstdarstellung, Außenwirkung, oder purer Opportunismus … ich erlebe es jeden Tag beruflich, das ist sozusagen unvermeidlich. Vermeidbar dagegen ist der „private“ Kontakt mit diesen Menschen. Wie schon gesagt, habe ich nichts gegen sie. Aber eben auch nichts „für“ sie, außer eine höfliche Tageszeit, wenn man sich mal kannte oder flüchtig kennt.

      Dazu habe ich gelernt, gut mit mir allein zu sein, das ist auch sehr schön.
      Schöner jedenfalls, als mir das übliche Geschwätz anzuhören.

      Danke für`s hereinschauen und Grüße aus dem Tal der Wupper !

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