Abgesang, Teil 2

Es kommt vieles zusammen, nach deinem Tod. Vielleicht liegt es an mir, weil ich den Dingen immer gerne irgendeine Bedeutung beimesse. Vielleicht ist alles nur ein lose Folge von mehr oder weniger zufälligen Ereignissen, eine Beweisführung ist nicht möglich.

Angefangen unmittelbar nach deinem Tod, der Bestatter hatte es unheimlich eilig, dich zu holen. Zweimal mussten sie den wieder fortschicken, weil die kleine, geplante Abschiedsfeier noch ausstand. Dann wollte Mutter dein Bett loswerden, auf dass etwas mehr Platz sei. Die Diakonie kam, guckte und wollte haben, meldeten sich aber nicht, den Abholtermin betreffend. Auf meine Nachfrage hin kamen sie dann genau auf deinem Geburtstag, das Bett holen. Ein Zahlendreher in der Telefonnummer war die Ursache der Verzögerung. Zum Ende noch dein Grab. Neulich schaute ich nach, alles voll mit dem vergammelten Kram noch von deiner Beisetzung. Die Platte auf deinem Urnengrab immer noch namenlos. Den Dreck habe ich selbst fortgeräumt, Abrechnung gewälzt, vereinbarte Leistungen überprüft, der Friedhofsverwalter hat gepennt und sich nach Anruf tausendmal entschuldigt. Du bekommst also dein Schild demnächst und muss nicht wie ein Verbrecher namenlos verscharrt sein.Das Universum scheint zu antworten und geht nach deinem Tod ziemlich lieblos mit dir um.

Nächtens kommst du mich manchmal besuchen und friedvoll oder gar liebevoll geht es dann nicht zu, zwischen uns beiden. Als du so krank warst, die letzten Jahre, habe ich mir viel verkniffen, was ich dir hätte sagen wollen. Du warst zu krank, um mir zu wechseln, und zu abhängig von Hilfe. Meine Wut auf dich veschwand aber nicht, die tauchte nur ein wenig ab. Wenn ich daran denke, wie dein Blick auf diese Welt war und wie du sein konntest, wenn sie, die Welt, sich nicht so verhielt, wie du es von ihr erwartet hast. Dann waren sie alle böse, durchtrieben und falsch. Zuhause war das anders, da warst du es gewohnt, dass alles nach deinem Kopf ging. Bis auf dein Ende, dafür hat dir der Geist gefehlt, dir vorzustellen, was kommt – hören mochtest du das auch nicht. Du wolltest daheim sterben, das ist nur zu verständlich. Nur funktioniert das nicht, wenn das Sterben, wie in deinem Fall, so lange dauert und mit langen Leiden verbunden ist. Ein Rollstuhl passt nunmal nicht in eine normale Siedlungswohnung und deine beinahe gleichaltrige Frau konnte dich auch nicht bis zum Ende pflegen. Ein letztes Mal war die Welt dann ungerecht und böse mit dir.

Du warst, nach allem, was ich heute weiß, ein recht typischer Narzisst, aber ich weiß auch, dass kein Mensch so auf Erden ankommt. Wenn ich den ganzen Scheiß, der uns zeitlebens getrennt hat, ein wenig auf Seite schiebe, sehe ich irgendwo darunter eine arme Seele. Dann spüre ich für einen kurzen Moment echte Trauer, so wie jetzt gerade, beim schreiben. Vielleicht kannst du weiterziehen, wenn dein Grab deinen Namen trägt. Wünsche ich dir.

13 Gedanken zu „Abgesang, Teil 2

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  2. Nati

    Geht nahe, dein Text.
    Manchmal frage ich mich wie es wohl ist Eltern zu haben, richtige Eltern.
    Die einem nahe stehen, denen man wichtig ist, von denen man geliebt wird.
    Ich schicke dir eine virtuelle Umarmung, Reiner.

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Ja, Nati, Aber wer ist das schon? Alles relativiert sich, wenn ich mir sage, dass jeder jederzeit sein Bestes gibt, auch wenn es auf der anderen Seite sehr wenig zu sein scheint. Vielen Dank!

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  3. Mindsplint

    Lieber Reiner, du hast klare und gute Worte gefunden, um mit dir und der Situation klar zu kommen. Nicht anklagend, aber dennoch unter die Haut gehend. Das ist Trauerarbeit und ich glaube, dass das in der Form sehr hilfreich für dich ist. Was du sagen wolltest, konntest du aus den genannten Gründen nicht aussprechen. Daher wählst du diese Form des „Dialoges“ Zwar ein Monolog, aber die Antworten werden spürbar sein, irgendwann. Dann nämlich, wenn du dir alles von der Seele geschrieben hast. Also die Last abgelegt hast, die dich noch immer bedrückt.
    Ich wünsche dir, dass der Druck sich stetig löst und dich freigibt. 🙂
    Viele Grüße Bea

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  4. gerlintpetrazamonesh

    Es ist nie einfach, von denen Abschied zu nehmen, die man gut kennt und denen man noch so viel, Gutes und Böses, zu sagen hätte. Meist ist es nicht die richtige Zeit und irgendwann ist keine Zeit mehr.
    Manches muß man eben runterschlucken und mit sich rumtragen. Und wenn es einem in der Kehle brennt bei passender Gelegenheit, ohne den falschen damit zu treffen, ausspeien.
    Doch die namenlose Platte? Wäre mancher nicht froh, steppewolfgemäß, er würde einfach schwinden, ohne Namen, Daten, Faßbares, Erinnertes? Zumindest, so glaube ich, sagt das so mancher Mann und die eine oder andere Frau im Leben. Im Tod dürfte es ihnen egal sein. Dazwischen, sofern man das so nennen kann, gibt es freilich diese Momente der Einkehr, Rückkehr, des versuchten Zurücklehnens an Altvertrautes, nie Geschätztes und plötzlich möchte mancher wieder erinnert werden, nicht schwinden, vergehen. Doch schließlich, ein jeder muß.

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  5. Grinsekatz Beitragsautor

    War ihm wichtig, ein Schild. Als Kind des „dritten Reiches“ dachte er bei namenlosen Gräbern an die in Flüssen verstreute Asche derer, die man ab 45 dingfest machen konnte.

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