28

28 Jahre. Vor 28 Jahren war mein Vater so alt wie ich jetzt. Frisch gefeuert noch ein knappes Jahr arbeitslos und dann mit vollen Bezügen frühverrentet begann für ihn das Leben, wie er es sich erträumt hatte. Nur weg, Licht, Luft und Sonne. Guter Plan, leider ohne Einbeziehung der Familie, das war seine Lebensentscheidung, seine und die meiner Mutter. 11 Jahre nationalsozialistische Kindheit mit allen dazugehörenden Begleiterscheinungen, folgende Hungerjahre eingeschlossen, dienten als Rechtfertigung der gerüttelten Portion Egoismus für den Rest des Lebens.

Und ich? Wenn ich diesen Menschen heute sehe, empfinde ich keinen Neid. Das Leben strebt stets nach Ausgleich, und der hat viele Gesichter. Ich hatte die Gnade, zwar in drangvoller geistiger Enge, aber immerhin ohne Bombenterror und Hunger in einem halbwegs freien Land aufwachsen zu dürfen. Dafür darf ich, dürfen wir (bin ja nicht allein damit) ordentlich länger arbeiten, wollen wir nicht auf Grundsicherungsniveau zurückfallen. Muss und kann ich mit leben. Gemacht, was ich wollte, habe ich in jungen Jahren, irgend etwas läuft also genau anders herum als in der Generation meiner Eltern. Heute folge ich den 10 Geboten und den 12 Schritten, die mir als Orientierung dienen und bitte um tägliche Führung. So Gott will, werde ich meinen körperlichen Verfall dito so relativ klar wie mein Vater erleben, derweil nur wenige die Gnade haben, irgendwann am nächsten Morgen nicht mehr aufstehen zu müssen.

Bis dahin hat es hoffentlich noch etwas Zeit. Ohne es genau zu wissen, wie kann man das auch, trage ich das derzeit noch sehr unbestimmte und diffuse Gefühl in mir, dass es für mich noch ein Menge zu lernen gibt, die potentielle Leichtigkeit des Seins inbegriffen. Für alle, die jetzt aufmerken – ja, auch dies möchte gelernt sein, wenn Mensch es nicht von Haus aus mit bekommt. Und – irgendwo gibt es die Hoffnung, dass an einem Punkt die Fäden zusammenlaufen könnten, dass Glaube, Intuition, Familie, teilen-wollen und die Leichtigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich sinn- und liebevoll ergänzen mögen. Wird sich mit der Zeit finden – so Gott will – und ich ihm folge.

Mein Taufspruch … vor 15 Jahren.

6 Gedanken zu „28

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  2. C Stern / Seelenbilder

    Das Eintauchen in menschliche Seelenlandschaften macht mir immer deutlicher, dass es eine große Gnade ist, wenn wir unser Leben in Verbindung bringen dürfen mit lebenslangem Lernen.
    Ich meine, es ist ein wesentlicher Sinn in meinem eigenen Leben und ich bin zutiefst dankbar für diese Möglichkeiten – Geist, Verstand und Interessen sowie Demut vorausgesetzt!

    So, wie Du, Reiner, es so deutlich schreibst, will auch die Leichtigkeit des Seins ihren Stellenwert in eines Menschen Leben einnehmen. Wir sind Kinder von Eltern, die diese Fähigkeit selbst nicht erlernt haben und diese deshalb leider nicht an uns weitergeben konnten. Viel zu ernst und zu grausam waren ihre Lebenswelten, mit all den Themen ihrer Zeit.
    Das Bedürfnis, gesehen zu werden, ist ein zutiefst menschliches. Wer sich nicht gesehen fühlt(e), der entwickelt durchaus auch Egoismus. So erkläre ich mir, wenn Menschen krampfhaft Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen.

    In diesem Sinne: Ein „Sawubona“ in die Welt! Es scheint mir immer deutlicher als notwendig, um Frieden und Liebe zu schaffen unter den Menschen …

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    1. Grinsekatz Beitragsautor

      Ja, lebenslanges lernen, in Verbindung mit Geist, Verstand, Interessen und Demut. Letztes halte ich für sehr wichtig, als ein Ego-kranker Mensch, der darüber süchtig wurde. Es ist nicht jedem gegeben und die Bereitschaft dazu wird, so sie nicht von Haus aus vorhanden ist, wie in meinem Fall, „geweckt“ von handfesten Lebenskrisen, die zum hinschauen auffordern. Dazu zähle ich Situationen, die auch das Potential in sich bergen, untergehen zu lassen. Wachstum durch Krise scheint (m)ein Lebensprinzip zu sein, ist aber weit verbreitet. Wenn alles „läuft“, siegt oft die Bequemlichkeit. Erst mit den Jahren entdeckte ich meinen unruhigen Geist, wie er wirklich ist, zusammen mit einer ordentlichen Portion Neugier. Veranlagungen, die nach einer gewissen Tiefe verlangen, um sich nicht zu zerfasern, Wesenszüge auf dem Weg, die letzten universellen Wahheiten über unsere menschliche Natur ergründen zu wollen, und doch wissend, dies nie zu erreichen. Veranlagungen, die auch zum innehalten aufforden, um Überforderung zu vermeiden.

      Sawubona, ich musste nachschauen 🙂
      Ich sehe dich.
      Das klingt gut – zurück in die Welt!

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      1. C Stern / Seelenbilder

        Ich glaube mit großer Überzeugung, dass Menschen nur in ihren Herausforderungen lernen. Es geht darum, Auf*gaben* anzunehmen, zu ent-decken; unsere Komfortzonen zu verlassen. Viele Stärken wären nie gelebt worden, würde der Mensch immer nur krisenlos vor sich hinleben. Wenn alles prächtig laufen würde, wir würden unsere Spieldecke nicht verlassen wollen.
        Ich glaube, es ist nicht immer wesentlich, Antworten zu erhalten. Wesentlicher scheinen mir die Fragen zu sein, offen für neue Entdeckungen … Immer in Verbindung mit den nötigen Portionen an „Innehalten“, das sehe ich genau so!

        Ja, Sawubona, für mich war dieser Begriff auch eine wunderbare Neuheit. Es scheint mir so viel essenzieller als das „Wie geht’s Dir?“

        Ich grüße Dich!

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