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50 Cent

Nein, ich bin nicht plötzlich und unerwartet im fortgeschrittenen Alter zum Fan vom gleichnamigen Gangsta-Rapper geworden – 50 Cent ist der beinahe schon symbolische Kaufpreis eines Herzens, welches heute zu mir gefunden hat. Im Nachbar-Quartier gibt es ein Straßenfest, auf`m Arrenberg, in der teils dafür gesperrten Simonstraße.

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Ein Samstag-Nachmittag wie gemalt, blauer Himmel, langsam schlendere ich von Stand zu Stand, schaue mir den Trödel an, während ich darüber sinniere, selbst genug von ungenutztem Zeug zu haben. Hier ein Schwatz mit einem Verkäufer über die großartige Auslage, dort ein loser Plausch, für bergische Verhältnisse gut gelaunte Menschen um mich herum. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass hier aufgrund der günstigen Mieten viele junge Menschen wohnen. Junge Menschen mit unabgegessenen Gesichtern, wie sie bei uns Älteren eher selten zu finden sind.

Hinter einem Stand mit dem üblichen Hausrat und Klamotten stehen mehrere junge Menschen, probieren begeistert selbst das feilgebotene Zeug an, schauen das Ergebnis in einem alten Spiegel, schwatzen und freuen sich am Tag. Auf einem Stück Pappe wird, in Blockschrift mit`m dicken Edding geschrieben, Rücken- und Handmassage sowie Tarot gegen Spende offeriert. Ich bleibe stehen und denke, kundige Hände könnten mir gut tun, von wem auch immer. Absichtslose Berührung, mitten im dicken Trubel. Also frage ich nach, eine junge Dame strahlt mich an, ich möge Platz nehmen und weist auf einem winzigen, dreibeinigen Klappschemel vor dem hinter dem Stand gelegenen Hauseingang. Ich nehme Platz, sie auf den Stufen hinter mir, und ich genieße die Berührung.

Niemand nimmt Notiz von uns, nur die Frau gegenüber, die mir gerade eben mein neues Herz fast geschenkt hat, guckt und grinst. Nach einigen Minuten bedanke ich mich, während ich über die gewünschte Spende nachdenke. Euronen sind bestimmt gewünscht, erscheinen mir aber irgendwie unangebracht. So frage ich die Dame mit den einfühlsamen Händen, ob wir jetzt die Plätze tauschen wollen, sozusagen uns etwas gegenseitig spenden. Zu meiner Überraschung lässt sie sich freudestrahlend darauf ein, womit ich nicht wirklich gerechnet habe. So fließt Energie aus der Berührung in beiden Richtungen und wir bedanken uns nach einigen weiteren Minuten gegenseitig. Eine kurze Umarmung, wir wünschen uns noch gegenseitig einen guten Tag und ich ziehe meines Weges.

Energie und Vertrauen. Einfach so.
Selten, aber möglich …

Aber zurück zum Titel – hier ist es also, mein neues Herz. Keines von diesen glatt geschliffenen Dingern und Gott sei Dank auch keines aus Stein oder gar aus Plastik, nein es ist recht einfach, beinahe grob zurecht geschnitzt worden, vielleicht von einem Schulkind oder in irgend einer Klinik, während der Ergo-Therapie oder dergleichen. Es hat Riefen und Macken wie so viele unserer Herzen, die schon eine Weile länger schlagen, es gefällt mir auf Anhieb und so werden wir Handels-einig. Selbst die Galgen-artige Befestigung hat etwas.

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 Zum Abschluss treffe ich noch einen vertrauten Menschen aus meiner Gruppe, wir gehen im SimonZ Kaffee trinken und schwatzen, ein guter Nachmittag geht zu Ende. Nun liegt mein neues Herz also hier auf dem Schreibtisch und wartet auf seine weitere Bestimmung. Ich werde es irgendwo festschrauben müssen, sonst geht unsere Lilit damit durch, soviel ist sicher. Sie steht schon am Start, spielt mit allem, was ihr passt, sicher auch mit Herzen aus Holz, derweil sie Herzen aus Fleisch und Blut eher wärmt und erfreut.

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Die Zwei

Wer sehr früh am Morgen aufsteht, sieht manches, was andere nicht sehen können. So geht es mir auch, jeden Morgen, wenn ich gegen halb Fünf Uhr am Fenster sitze und die Routine-Arbeiten des neuen Tages mit einem Pott Tee unterbreche. Wenn ich die stille Straße sehe und Freundschaft mit dem jungen Tag suche.

Jeden Morgen bei jedem Wetter ziehen die beiden langsam den Berg hinauf. Zwei gebückte, schwarze Schatten, stets geht der Mann mit einem so genannten Hacken-Porsche an der Hand voran. Sie folgt ihm, in einem scheinbar genau festgelegtem Abstand. Ihr etwas schaukelnder Gang lässt auf ein Hüftleiden schließen, in einer Hand hat sie eine kleine Taschenlampe, sie sucht die Straßenränder nach verwertbaren ab, wie es scheint. An stets derselben Stelle ziehen die beiden durch die parkenden Autos auf die andere Straßenseite, er schließt die Haustüre auf und wartet kurz auf sie, um dann gemeinsam mit ihr im Haus schräg gegenüber zu verschwinden.

Der Rest ist Spekulation. Welche Route nehmen sie allmorgendlich, wie lange dauert wohl ihre Runde durch die Stadt, was für ein gelebtes Leben mit welchen Umständen treibt sie wohl des Nachts aus dem Haus. Und – war ihre Tour diese Nacht wohl erfolgreich, auf der Suche nach Leergut und verwertbarem Zeug an der Straße. Vielleicht waren sie auch containern, in den Hinterhöfen irgendwelcher Supermärkte?

Wie auch immer, für mich gehören die beiden zum festen Tagesablauf am frühen Morgen. Ich mag wie unsere Katzen Beständigkeit und Regelmäßigkeit sowie Menschen, auf die man sich verlassen kann, in ihrer Pünktlichkeit.

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Sendersuchlauf

Unser Kabel-Anbieter schüttelt in letzter Zeit alle paar Wochen seine Sender durcheinander, was zur Folge hat, dass hier und da ein neuer Sendersuchlauf gestartet werden muss. Mich stört`s nicht wirklich, weil ich nicht so ein Fernseh-Mensch bin. Hauptsache, ich bekomme Abends meine halbe Stunde Regionalnachrichten mit, der Rest interessiert mich weniger.

Wir bekommen sowieso nicht das volle Programm, weil uns so ein modernes Teil fehlt, mit dem man auch die tollsten Bilder noch sehen können soll. An die wechselnden Programmnummern gewöhne ich mich auch schnell, das hält wach. Manchmal staune ich, wer sich da alles tummelt, im Angebot. Neben Phoenix und Arte, die auch manchmal gut zu schauen sind, landete ich neulich später am Abend bei Bibel-TV, mitten in einem historischem Spielfilm über Moses, seine weite Reise mit dem Stamm Israel und dem Zustandekommen der 10 Gebote, aus biblischer Sicht.

Verwundert schaue ich den alten Schinken eine Weile. Passt zum Sender-Namen, denke ich und frage mich nach dem potentiellen Nachtprogramm – wohl kaum das Übliche, also irgend ein Soft-Porno oder abgehalfterte B-Serien. Meine Neugier reicht nicht so weit, mir via Bildschirmtext darüber Klarheit zu verschaffen, dafür finde ich zumindest den Rest des alten Filmes recht spannend.

Die 10 Gebote und deren Zustandekommen … wohl kaum werden sie Moses von Gott persönlich auf dem großen Berg als frisch gebackene Steinplatten überreicht worden sein, auch, wenn das in dem dicken alten Buch (und natürlich auch in dem Film) gut aussieht. Vielmehr glaube ich, das sie, wie die meisten Fortschritte im Leben, nicht durch Aufhebung der physikalischen Gesetze oder gar durch menschliche Einsicht entstanden sind, sondern eher durch tiefes Leid, vielfach schlechtem Gewissen, innerem Zwiespalt und Ströme von Blut.

Für mich haben sie in ihrer Einfachheit und Klarheit große Kraft, wie immer sie auch entstanden sein mögen. Mit ihnen ist im Grunde alles gesagt, alle weiteren Vertiefungen haben ihre Ursache wahrscheinlich nur in dem Hang der Menschen, sich von einander zu unterscheiden. Mir reichen sie als Orientierung für mein Leben völlig aus und haben für mich größere Strahlkraft als das gerade gültige geltende Recht, welches ja enormen Schwankungen unterliegen kann. Sie sind zeitlos und für mich ein gute Hilfe in unübersichtlichen Zeiten einerseits sowie in einer Konsum-orientierten, mich in ihrer Gier zunehmend abstoßenden Welt andererseits.

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Von Gestern und von dieser Zeit

Dieser Tage sah ich dich in den lokalen Nachrichten. Du gabst einen großen Teil des Erlöses aus dem Verkauf eines alten Kunstwerkes an ein Projekt in Südamerika. Dort, im Fernsehen, sah ich dich schon öfter, auch im Kontext mit der Hilfe an Kriegsflüchtlinge.

Das ist schon bewegend, dich nun, 2017, so lebendig vor mir zu sehen. Und – keine Sorge, ich komme jetzt nicht mit weißt-Du-noch und so. Das letzte Mal sahen wir uns vor gut 25 Jahren und miteinander zu tun hatten wir bis vor über 30 Jahren mittlerweile. Waren wir Freunde ? Irgendwie schon, wenn auch nicht auf Augenhöhe, damals. Zwei verletzte Seelen, die sich einig waren in ihrer Gier auf Rausch. Damals habe ich dich bewundert, für deine Erfolge, und auch beneidet, für deine Möglichkeiten.

Gescheitert sind wir beide, so scheint es, grandios. Die Frau an deiner Seite auf dem Schirm ist wohl ebenso wenig die Mutter deiner Kinder wie die Meine. Die Website des ehemaligen väterlichen Betriebes deinerseits ist schon lange nicht mehr zu erreichen. Vor Monaten kam ich bei Dir lang, an der Mauer der ehemaligen Fabrik kündeten neue Schilder von anderer Nutzung. Vielleicht lebst Du nun als Privatier, ich gönne es Dir von Herzen, weil ich heute eine Ahnung davon habe, wie sehr Du unter deiner Geschichte gelitten haben musst.

Mit den Jahren habe ich echte Arschlöcher kennengelernt. Millionenschwere Arschlöcher, die sich nicht zu schade waren, um den Preis in einer Eisdiele noch zu feilschen. Um so wohltuender empfinde ich es, zu sehen, dass jemand wie Du teilen kann. Neben deinem fetten Ego damals hattest Du immer schon ein gutes Herz und viel Mitgefühl für Menschen, denen es schlechter ging als Dir.

Wir leben nicht weit von einander entfernt, und doch weit weg vom anderen. Alles hat seine Zeit, wir hatten unsere. Für mich war sie wichtig, aus mehreren Gründen. Wenn ich dich heute überraschend wiedersehe, auf dem Schirm abends, dann freue ich mich für dich. Respekt !

So ganz verkneifen kann ich es mir allerdings doch nicht, mich schlussendlich an unseren damaligen, gemeinsamen derben Humor zu erinnern, auch, wenn bei einem solchen Musikgeschmack das scheitern, zumindest im privaten Bereich, vorprogrammiert ist.

Du wirst es mir nachsehen, bestimmt 🙂

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Ansichten eines Clowns

So von uns als gelungene Theater-Aufführung gesehen, gestern Abend im Schauspiel Köln, nach dem bekannten Roman von Heinrich Böll. Das Buch habe und kenne ich schon seit über 30 Jahren, zusammen mit allen anderen Büchern von Böll, die ich bekommen konnte. Er hat mir als junger Mann schon geholfen, die Welt meiner Eltern besser zu verstehen, mich in ihre Zeit hinein zu finden.

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Dieses Buch hat mich immer schon endlos traurig gemacht, und so ging es mir auch gestern Abend. Das hat hierbei nicht mit der Bigotterie der Nachkriegszeit zu tun, die im krassen Gegensatz zu dem „tausendjährigem Reich“ stand. Auch nicht mit der wundersamen Demokratisierung quasi über Nacht, die doch nur ein hauchzartes, fadenscheiniges Mäntelchen war und in Teilen immer noch ist.

Es ist das festhängen in irgendwelchen Dogmen, in Lebensbildern, projizierten Mustern, übergestülpten Lebensformen, die verhindern, zum wirklichen eigenem Wesenskern, zum eigenen Glück zu finden. Dazu gehört das ständige zitieren von irgendwelchen Phrasen und Stereotypen, die dem Ganzen seine Rechtfertigung geben sollen, dieses unselige Gebräu als Normalität im Sinne von „das macht man so“ verkaufen soll. 

Möchtegern-Majoritäten, Leit(d)kultur, Führungsanspruch.

Was hat all das mit mir zu tun, warum bewegt mich das so ? Es ist die Erinnerung an die „Vater-Worte“, die mir einst um die Ohren gehauen wurden. Worte, die er seinerseits als Kind hörte und in ihrer Tragweite nicht wirklich erfassen konnte (meine Eltern waren bei Kriegsende gerade 10 bzw. 11 Jahre jung). Worte, die er als Krücke für sich selbst nutzte, um irgendeinen Halt zu finden, nach gestohlener Kindheit und den Entbehrungen der Nachkriegsjahre. Worte, die mich ihn hassen lehrten, als Kind. Worte, die für Beschränkung und Zwang ebenso stehen können wie für Tugend, sofern sie dann nicht für sich allein stehen.

Prrreußische Orrrdnung und Sauberrrkeit.
Anstand und Disziplin.
Gesunderrr Körrrper, gesunderrr Geist.

Er konnte nicht anders.

Zum Total-Verweigerer a la Hans Schnier hat es bei mir nicht gereicht, statt dessen lief ich ihnen weg, diesen Worten. Nebenan in der Parallelwelt der synthetischen Träume war es wärmer, da war ich in scheinbarer Sicherheit, erst einmal. Es hat eine lange Weile gebraucht, in der „Realität“ leben zu können und eigene Träume haben zu dürfen.

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Einsamkeit und Sex und Mitleid

Und – nein, das ist keine Status-Beschreibung des momentanen Befindens, sondern es ist der Titel eine Filmes, den wir gestern kurzentschlossen besucht haben. Ein Nischen-Film, ideal für Programm-Kino, derzeit läuft er hier bei uns im Rex-Kino Wuppertal / Elberfeld, eine altehrwürdige Spielstätte in neuem Glanz.

Interessanter Weise startete die Spätvorstellung noch etwas später als geplant, derweil der Regisseur eingeladen war, nach der Abendvorstellung ein paar ausgesuchte Fragen zu beantworten. Wir durften als Gäste der Spätvorstellung schon etwas früher herein und der kurzen Vorstellung beiwohnen, ohne den Film gesehen zu haben, wie die anderen anwesenden Gäste.

Ein typischer Low-Budget Film, der aus immer wiederkehrenden Finanznöten alles in allem von der Idee, den gleichnamigen Roman von Helmut Krausser zu verfilmen, bis zur Fertigstellung an die 6 Jahre brauchte. Die über 30 Figuren des Romans wurden im Film aus Gründen der Übersicht auf 12 reduziert, was völlig ausreichend war.

Menschliche Beziehungen und die unterschiedlichsten Versuche, diese in glückliche Bahnen zu lenken stehen im Vordergrund dieser Tragikomödie, Einzelschicksale, die klassisch überhöht dargestellt miteinander verwoben sind. Der ehemalige Lehrer, der aufgrund einer Intrige Zwangs-pensioniert wurde – Der vor kurzem von seiner Escort-Lover-favorisierenden Frau verlassene Supermarkt-Leiter, in Dating-Portalen nach Erfüllung suchend – Der scheinbar vor Selbstbewusstsein strotzende Polizist und die traumatisierte Carla, die ihn anhimmelt – Der desillusionierte Familienvater mit Frau, 2 Töchtern und seinen Bienen, der eigentlich eher auf Männer steht – Janine, die Künstlerin, ebenfalls in Dating-Portalen unterwegs, Mahmud, der Arab, welcher Svenja (eine Tochter des Familienvaters) gegen Geld gerne lecken möchte – Aaron, Kind freikirchlicher Eltern mit irdischen Gelüsten.

Die Darsteller sind toll, keinem ging es dem Vernehmen nach am Ende noch um`s Geld, sondern darum, dieses fesselnde Projekt zu einem guten Schluss zu führen. Super Kamera-Führung und völlig bizarre Verwicklungen, garniert mit reichlich Nackt-Szenen lassen mich mal kichern, mal lachen, mal tief berührt sein. Menschen, die bis dahin ein so genanntes geordnetes Leben leben durften, verlassen diesen Film vielleicht  mit dem Gefühl
Na gut, war ganz nett, aber total überzogen.

Andere, mich selbst eingeschlossen, verlassen die Vorstellung mit einem eher merkwürdig durchwachsenem Gefühl, wohl wissend, dass das so genannte reale Leben mancherlei Kino-Künste locker toppen kann und keine Überzeichnung manchen Charakteren das Wasser reichen kann. Alles in allem ein gelungener Film ganz nach meinem Geschmack !

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Tschick

Am Donnerstag ist sie angelaufen, die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Roman Tschick.  Das Buch habe ich berührt zu Ende gelesen, was längst nicht bei allen Büchern der Fall ist. Regie führte Fatih Akim, von dem wir vor einiger Zeit schon The Cut gesehen hatten. Das Buch vor dem geistigen Auge, dachte ich, der Film kann bei  guter Regie gut an das Original heran kommen. Also waren wir gestern mit den Kindern mal wieder im Kino, nach langer Zeit. Überrascht hat mich, das sogar das große Mainstream-Kino den Film zeigt, hätte ich ihn doch eher im Programmkino verortet.

Ein Road-Movie. Der Asi und der Psycho. Zwei 14-jährige hauen ab mit einem geklauten Lada, das große Ziel ist die Walachei, die Heimat von Tschicks Großvater. Wer Berlin kennt, weiß um den Begriff Walachei als Redewendung für ganz weit draußen. Wie die Geschichte am Ende ausgeht, wird schon zu Beginn klar. Darum ging es dem Autor auch nicht. Das Unterwegs ist wichtig und wird von den Schauspielern klasse dargestellt.

Ein Film, der mich sehr warm berührte. Auch ich wurde mal Psycho genannt 😉 Nur zum abhauen hat es nie gereicht. Meine Flucht ging nach innen.

Ist euch schon mal aufgefallen,
das Spiegel immer nur links und rechts vertauschen,
aber niemals oben und unten?

 (Isa, eine temporäre Reisebegleiterin der beiden)

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Kinder ihrer Zeit

Dieser Tage war bei den Bad Gandersheimer Domfestspielen Premiere von Jesus Christ Superstar und wir hatten das Glück, daran teilhaben zu dürfen. Neben dem Genuss der vielen tollen schauspielerischen Leistungen auf der Bühne in sengender Hitze kamen mir Erinnerungen an die Zeit der Uraufführung 1971.

Wir waren damals noch keine 10 Jahre alt und hörten die „Großen“ auf den Schulhöfen und Straßen singen, Armee-Brotbeutel-behangen, die stolz den Titel des Stückes via dicken Filzstift trugen. Sie, die „Großen“, nannte man später die „68er“, also vielfach die Kinder der aktiven Generation des „dritten Reiches“, Kinder also von Tätern, Opfern, Mitläufern, die in hilfloser Wut erleben mussten, wie stark die junge Bundesrepublik in (Innen-)Politik, Verwaltung und Jura von den scheinbar Blitz-gewandelten Schergen des Faschismus geprägt wurde. Kinder, die auf ihre Weise mit diesen Zorn umgingen, laut feiernd so ziemlich alles auf den Kopf stellten, was den Alten heilig war und das so genannte „Establishment“, das „System“ verkörperte. Kinder, die mit den Jahren mehrheitlich ihre Ideale vergaßen und schneller „etabliert“ waren, als sie je befürchteten. Kinder, denen heute, anno 2015 vielfach die Gnade zuteil wird, zeitig in den wohlverdienten Ruhestand gehen zu dürfen.

Selbst bin ich sicherlich kein typischer Vertreter der so genannten „Generation x“, also die letzten geburtenstarken Jahrgänge bis hin zu den Anfang der 70er Geborenen. Dennoch war mein Verhalten damals so untypisch nicht, mit meinen Versuchen, die 68er rechts überholen zu wollen in Sachen F(f)este feiern. Mir und meinesgleichen ging es allerdings nicht um irgendwelche Revolutionen, sondern eher um den großen Rausch, um`s breit sein, um Rock`n Roll sowie alle Arten von weiteren Ausschweifungen. Uns war zeitig klar, das wir keine Gnade erfahren können, das wir die erste Generation sind, die ganz ohne Krieg lernen darf, was es heißt, sich reduzieren zu müssen. Nicht alle sind Gott sei Dank am Stoff hängen geblieben, aber alle, die nicht zeitig bremsen konnten, haben ihren Preis bezahlt. Wobei „zeitig“ durchaus dehnbar ist, siehe meine eigene Geschichte.

Zu meiner Geschichte zählt eben auch mein Glaube, zu dem ich allmählich gefunden habe in meinen trockenen Jahren, um dem Kreis wieder zu schließen. Darum stehe ich auch ein wenig zwiegespalten vor solchen Aufführungen wie Jesus Christ Superstar. Nicht, das ich meine religiösen Gefühle verletzt sehe oder dergleichen. Ein wenig fühlte ich mich auch an einen Gospel-Gottesdienst erinnert, der ja auch unserer zelebrierten Ernsthaftigkeit diametral gegenüber steht. Auf der einen Seite meine Erfahrung mit den Plänen Gottes, die mit unseren eigenen oft genug nicht viel zu tun haben. Die gewaltige Konsequenz, die er uns zukommen lassen kann für unser handeln oder unterlassen.  Andererseits ist das Leben ernst genug und Jesus war nicht nur Gottes Sohn, sondern eben auch der Menschen Sohn, was dem Ganzen seinen Schrecken nimmt.

Da ich trotz aller Mühe immer noch kein Heiliger geworden bin, erlaube ich mir am Ende noch einen kleinen Seitenhieb auf die 68er, sorry, liebe Gemeinde 😉

Viva la Revolution – war am Ende auch nur Opium…

Mojsche & Rejsele

Während sich gestern Nachmittag mehrere Gruppen extremistischer Demonstranten gegenseitig gern das Fell versohlen wollten und nur durch das kluge Engagement der Staatsdiener daran gehindert wurden, machten die Liebste und ich uns auf geheimnisvollen Pfaden um den Pöbel herum auf den Weg zu einer Theater-Aufführung. Unser Ziel war die Christian Morgenstern Schule in Wuppertal-Barmen.

Die Kinder der achten Klasse führen ein Klassenspiel auf. Was Jüdisches, sagt die Liebste im Vorfeld und ich denke, gut, mal schauen. Angekommen in der Mehrzweck-Halle der Förderschule finden wir Flyer auf den Stühlen über das Stück. Geahnt habe ich es schon, es spielt in Zeiten des Faschismus, des Massenmordes an den deutschen Juden Anfang der Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Geschichte handelt vom polnischen Arzt Janusz Korczak, der auf für die damalige Zeit außergewöhnlich fortschrittliche Art ein Waisenhaus in Warschau betreute, von den Faschisten mit seinen Kindern in das Warschauer Getto zwangsumgesiedelt wurde und am Ende die Größe hatte, seine Kinder in das Vernichtungslager Treblinka zu begleiten, anstatt sich selbst mit von Freunden besorgten falschen Papieren zu retten.

Die Helden des Stückes sind neben dem Doktor eben Mojsche und Rejsele, die Hauptdarsteller einer fiktiven Liebesgeschichte, deren Handlung in dem Jugendroman von Karlijn Stoffels  in das von damals überlieferte Geschehen eingebettet wurde. Mojsche kommt mit 13 in das Waisenhaus und hat zunächst große Schwierigkeiten, sich aufgrund seiner Aggressionen, seiner Aufsässigkeit, in das Leben dort einzufügen. Rejsele wird im zur Seite gestellt, um ihm zu helfen, sich besser einzubringen und die beiden beginnen, sich zu mögen. Mojsche verlässt alsbald das Waisenhaus, um im Untergrund als Kurier tätig zu werden, sein Charakter zeichnet ihn dafür aus. Auch Rejsele übernimmt Botengänge aus dem Getto heraus und nach der Deportation verlieren sich die beiden aus den Augen. Bis sie als alte Menschen viele Jahrzehnte später wieder zusammen finden, über eine Radio-Reportage zu den Geschehnissen damals.

Bewundernd registriere ich die Begeisterung der Kinder für so ein schweres und trauriges Stück. Ein Hauptdarsteller spielt mit Krücken und geschienten Bein, nachdem er sich noch am Vorabend bei einem Fahrrad-Sturz das Knie angebrochen hatte. Sie sind mit ganzen Herzen, mit ganzer Seele dabei, während ich mehrere Male echte Mühe habe, meine Fassung zu wahren. Eigentlich möchte ich von der ganzen Zeit damals nichts mehr wissen, von den unfassbaren Verbrechen unserer Ahnen. Ich war das nicht, denke ich, das ist ein Problem meiner Großeltern, bzw. Urgroßeltern, die zumindest teilweise auch Täter waren. Ganz so einfach ist es indes nicht, denn hätte ich damals gelebt, wo hätte ich mich wiedergefunden, in so einer Zeit? Solche Gedanken beschäftigen mich, während ich die berührt, gerührt die Kinder sehe, die Improvisationen verfolge, über die 13, 14 jährigen Kid`s staune und mich auch für die Lehrer freue, die es geschafft haben, die Kinder solcher Art zu motivieren. Sie lernen hier etwas, was in keinem Lehrplan steht:

Engagement, Leidenschaft, und Selbstbewusstsein.

Wir waren beide noch lange gefangen von dem Stück, von dieser Stimmung, während wir durch die mittlerweile wieder stille Stadt den Heimweg antraten.

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Essen, trinken & Wertschätzung

Heute morgen gesehen: West Art, Bauer sucht Zukunft (WDR)

Das war eine interessante Diskussionsrunde, heute früh. Sehr unterschiedliche Vertreter in Sachen Lebensmittel-Erzeugung und Verwertung saßen zusammen: Ein klassisches Landwirts-Paar, ein Vertreter eines solidarisch betriebenen Hofes, ein Filmemacher zum Thema, ein Suppen-Koch sowie eine Journalistin. Es ging in der Hauptsache um die Wertschätzung von unserer Ernährung, um industrielle Landwirtschaft und den Alternativen dazu.

Wie halte ich das für mich? Seit langer Zeit schon stopfe ich nicht mehr alles gedankenlos in mich hinein, Hauptsache billig und schnell. Angefangen hat das, wie so oft, nicht aus Einsicht oder Achtung vor dem Leben, sondern durch Leid, sprich Krankheit, in meinem Fall Arthritis in den Kniegelenken. Der Orthopäde damals meinte: Tja, Knorpel kaputt, kann man nix machen, treiben `se Sport, gezielt. oder lassen `se sich künstlichen Knorpel spritzen, kosten nur 300 Euro im Jahr, müssen `se selbst zahlen.

Schönen Dank, Herr Doktor.

Damit mochte ich mich nicht abfinden und begann, zu recherchieren, was ich tun könnte. Im Netz las ich über die traditionelle chinesische Medizin, TCM, Die Chinesen kennen keine zwei unterschiedliche Begriffe für Nahrung und Medizin, so wie wir, sondern benutzen dafür bezeichnender Weise nur ein Wort. Ein sehr gutes Buch zu dem Thema fand Eingang bei mir und zunächst las ich über die Wirkung unserer Nahrung auf den Stoffwechsel, speziell über Entzündung-fördernde und -hemmende Nahrung. Auf einen Teil des so genanntes rotes Fleisches, also Rind und Schwein in allen ihren Handelsformen habe ich seitdem verzichtet und mit ein wenig Geduld ging es mir von Woche zu Woche besser.

Erst langsam kam kam dieses Gefühl hinzu, was man allgemein mit Achtung vor dem Leben umschreibt. Gut in Erinnerung dazu ist mir ein Film, der damals hier im Programmkino lief: Ayurveda:The Art of Being. Gerade eine Szene ging mir nicht wieder aus dem Kopf. Der Helfer des Dorfarztes ging regelmäßig Heilkräuter schneiden, bat jede Pflanze um Verzeihung, bevor er sich bediente und bedankte sich anschließend. Auf der genau gegenüber liegenden Seite der Wirklichkeit dann Bilder der Massentierhaltung, Widersprüche, die krasser nicht sein können.

Andere Eindrücke kamen hinzu. Unvergessen ist mir ein Seminar der Volkshochschule in Sachen chinesische Küche. Der kleine Chinese, der uns in die Kochkünste seiner Heimat einwies, war klasse. Er erzählte viel von dem Leben der ländlichen Wanderarbeiter, die auch wie wir modernen Menschen wenig Zeit zum kochen hatten und darum puristisch und minimalistisch vorgingen. Wir wurden genauso ausgestattet wie sie damals: Ein Holzbrett zum schneiden, eine Wok-Pfanne, das chinesische Hackmesser, ein phantastisches Universalwerkzeug, zum schneiden, wiege-schneiden, hacken, platt schlagen, schaufeln. Ein kleines Küchenmesser zum Blumen schneiden, wie er es nannte, also Dekorationen aus Gurken und Gemüse aller Art schnitzen. Ein Kochtopf für den Reis oder für Teigtaschen, fertig. Vielleicht noch ein Rundholz für letztgenannte dazu. Die paar Sachen hätten mühelos auf jeden Handkarren gepasst und heute passen sie in jeden noch so kleinen Küchenschrank. Wir lernten einiges über Garzeiten, über Effektivität beim zubereiten, über Gewürze, Tricks und Kniffe beim garen von Gemüse und Reis, Abfolgen, wie der Wok zu füttern ist, abhängig von den verschiedenen Zutaten. Und haben gemeinsam mit Genuss alles am Ende aufgegessen.

Im Kern bekochen wir uns bis heute solcher Art schlicht und meistens fleischlos. Es gibt genug wertvolle pflanzliche Eiweißlieferanten und tolle Öle, die uns helfen, diese zu erschließen. Wenn schon Fleisch, dann selten Fisch oder noch seltener mal ein ganzes Huhn, wobei mir heute wichtig ist, eines zu erstehen, was wenigstens zu Lebzeiten frei draußen herumlaufen konnte. Das Argument des Preises ist dann vernachlässigbar, wenn Fleisch wieder zu dem wird, was es früher einmal war:

Etwas ganz besonderes, was es nur selten gibt.

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